Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
nickte kurz.
»Du hast nie darüber gesprochen«, stellte sie fest.
Er tat es auch jetzt nicht. »Hat Ulf dir von ihrer Tochter erzählt?«, fragte er stattdessen nach einer Weile.
»Lilli hat ihr den Namen unserer Großmutter gegeben.«
»Lianne?«, entfuhr es Björn überrascht.
Maybrit lächelte bestätigend.
»Weißt du, woran das Mädchen gestorben ist?«, fragte er.
»Es war anscheinend ein Unfall, aber ich weiß nichts Genaues.«
Sie hatte gehofft, dass Björn besser informiert war als sie und ihr etwas erzählen konnte. Caroline und Ulf wussten ihre Geheimnisse zu hüten. Dass Ulf noch etwas verbarg, war ihr längst klar. Nach seiner Rückkehr am Vormittag von Caroline war er auffällig in sich gekehrt gewesen. Er hatte sich zurückgezogen, längere Zeit mit seinem Kollegen in Stockholm telefoniert und schließlich über ihren Anschluss einige Unterlagen per Fax erhalten. Wie versteinert hatte er sie durchgeblättert, als könne er nicht glauben, was er las. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass sie ihn beobachtete, und ihr war klargeworden, dass es sich nicht um einen seiner Fälle, sondern um etwas Persönliches handeln musste. So aufgewühlt hatte sie ihn lange, sehr lange nicht mehr erlebt, und ein Verdacht hatte in ihr zu keimen begonnen, der sich festigte, als sie jetzt mit Björn von der Tanzfläche zurückkam und feststellte, dass Ulf und Caroline sich noch immer wortlos gegenübersaßen. Natürlich war auch Ulf Zeuge von Björns und Carolines Flirt auf der Tanzfläche gewesen. Maybrit hatte bemerkt, wie er den Atem angehalten hatte und sein Mund schmal geworden war. Sie hatte einen Moment lang einen seiner plötzlichen Wutanfälle befürchtet. Aber er hatte sich unter Kontrolle. Es musste einen anderen, schwerwiegenderen Grund geben, dass er den klaren Schnaps, den hier alle tranken, wenn sie vergessen wollten, in sich hineinschüttete, als wäre es Wasser. Sie würde einiges darum geben, wenn sie einen Blick auf die Unterlagen werfen könnte, die er per Fax erhalten hatte. Sobald sie zu Hause war, würde sie Håkan Bergströms Telefonnummer heraussuchen. Sie hatte Ulfs Kollegen vor vielen Jahren einmal kennengelernt. Damals hatte Ulf ihn und seine Familie zu Mittsommer ins Tal eingeladen. Es war an der Zeit, diese Bekanntschaft aufzufrischen.
13.
D ass es ein Fehler war, sich im Fjällkrogen zu treffen, war Ulf in dem Moment klargeworden, als er Caroline zur Tür hereinkommen sah. Sie hatte die übergroßen alten Pullover und Jeans, in denen sie sich in den vergangenen Tagen versteckt hatte, gegen deutlich figurbetontere Kleidung getauscht, ihre Haare frisiert und sich geschminkt. Sie sah so umwerfend aus, dass er bei ihrem Anblick nach Luft geschnappt hatte. Sie war keine Model-Schönheit, aber sie besaß Ausstrahlung und wusste, sie zur Geltung zu bringen. Einzelne Strähnen ihres aufgesteckten Haars ringelten sich weich um ihr Gesicht, der enganliegende Pullover und die Jeans betonten ihre wenigen Rundungen so perfekt, dass die anderen Männer aufsahen, als sie an ihnen vorbeiging. Caroline hatte es nicht einmal bemerkt. Das war typisch für sie, doch heute Abend wirkte sie darüber hinaus abwesend und unkonzentriert, einsam.
Es scheint etwas passiert zu sein. Etwas, was sie belastet. Björns Worte vor zwei Tagen hatten sich bestätigt. Es war etwas passiert! Es ging nicht allein um Liannes Tod. Es war weit mehr als das. Liannes Tod war nur der Anfang gewesen.
Er griff nach der Flasche, die vor ihm auf dem Tisch stand, und schenkte sich ein weiteres Glas ein, stürzte den klaren Schnaps in einem Zug herunter und spürte, wie die Wärme des Alkohols durch seinen Körper strömte und sein Gehirn mit jenem wunderbar leichten Nebel überzog, der das Denken schwerfällig machte. Er ignorierte Carolines Blick. Und er ignorierte den Ring, der an der filigranen goldenen Kette auf ihrer Haut lag. Er erinnerte sich an das Gefühl der feinen Glieder unter seinen Fingern, als sie am Vorabend in seinem Arm gelegen hatte. Er hatte zu dem Zeitpunkt nicht die leiseste Ahnung gehabt, welchen Anhänger sie um den Hals trug. Warum trug sie seinen Ring immer noch? Er hatte sie und Björn auf der Tanzfläche beobachtet und dabei den primitiven Wunsch verspürt, seinen alten Freund zu schlagen. Er durfte nicht zulassen, dass Caroline einen Keil zwischen ihre Freundschaft trieb. Er durfte ihr diese Macht nicht gewähren. Aber besaß sie nicht längst Macht über ihn? Vor nicht einmal einer Stunde hatte er
Weitere Kostenlose Bücher