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Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)

Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Dein totes Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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weinst du?«, hörte sie Liannes Stimme hinter sich, und eine kleine Hand schob sich in die ihre. »Vermisst du Papa?«
    Caroline schluckte. »Ich vermisse ihn jeden Tag, Kleines.«
    Lianne berührte den Ring an Carolines Finger. »Aber er ist doch hier, bei uns.«
    Caroline hob ihre Tochter auf ihren Arm und lächelte unter Tränen. »Ja, natürlich. Ich bin auch dumm, nicht wahr?«
    Lianne drückte ihr Gesicht an Carolines Schulter. »Hast du ihm gesagt, dass wir umziehen?«
    Caroline nickte. »Freust du dich schon?«
    »Ich freue mich auf den Schnee. Ich habe noch nie Schnee gesehen, außer im Fernsehen.« Dann zog sie die Nase kraus. »Aber ein bisschen schade ist es, dass es da, wo wir hingehen …«
    »Dänemark«, unterbrach Caroline sie.
    »… dass es in Dänemark keine Kängurus gibt.«
    »Wenn du sie sehr vermisst, gehen wir in den Zoo.«
    »Meinst du, da haben sie welche?«
    »Ganz sicher«, versprach Caroline. »Und jetzt müssen wir Abendbrot essen. Es wird gleich dunkel.«
    Draußen im Garten flog eine Schar Sittiche ein und nahm unter lautem Geschrei Platz auf dem zerzausten Eukalyptusbaum, den sie in diesem Sommer zum Schlafplatz erkoren hatten. Ihr buntes Gefieder leuchtete in den letzten Strahlen der Sonne.

    Lianne hatte den Käfer in seinem Glas auf ihren Nachttisch gestellt. »Lässt du das Licht an, Mama? Dann kann ich ihn mir noch ein wenig ansehen.«
    »Natürlich, Kleines«, entgegnete Caroline mit einem Lächeln. Das Zimmer wirkte kahl, obwohl die Möbel noch da waren, aber wie in allen anderen Räumen waren die persönlichen Dinge bereits gepackt und mit einer Spedition vorausgeschickt worden. »Es macht den Abschied leichter«, hatte ihr eine Arbeitskollegin geraten, und sie hatte recht gehabt.
    Caroline zog Liannes Tür behutsam zu und ging zurück ins Wohnzimmer. Die Terrassentür stand noch offen, nur die Fliegentür war geschlossen, und von draußen drang das Zirpen der Grillen herein. Caroline nahm ein Glas, holte aus dem Kühlschrank in der Küche die verbliebene halbe Flasche Weißwein und setzte sich hinaus. Der Himmel war sternenklar. Das Kreuz des Südens war gerade aufgegangen und leuchtete direkt über ihr. In der Ferne konnte sie die rollende Brandung des Ozeans hören. Ansonsten war da nur das Zirpen der Grillen, und sie fragte sich, ob sie diese Stille und auch die Weite Australiens vermissen würde. Die Herzlichkeit und Offenheit der Menschen, die sie so spontan in ihrer Mitte aufgenommen hatten, dass sie sich in diesem Land, das so entsetzlich weit von ihrer Heimat und allem, was sie liebte, entfernt war, erstaunlich schnell zu Hause gefühlt hatte. Die Bande nach Schweden hatten der immensen Entfernung nicht standhalten können und waren gerissen, und das Heimweh und die Einsamkeit, die sie anfangs verspürt hatte, angesichts all der neuen Eindrücke verflogen. Vier Jahre waren seither vergangen. Lianne war ein Buschkind geworden, braungebrannt und wild.
    Caroline fragte sich zum hundertsten Mal, ob sie das Richtige tat, ob es nicht besser gewesen wäre zu bleiben. In Dänemark war jetzt tiefster Winter. Sie kannten dort niemanden. Dennoch hatte sie der Versuchung nicht widerstehen können, als sie das Angebot für den Dolmetscherposten des Konsulats gesehen hatte. Näher als in Kopenhagen konnte sie an Schweden kaum herankommen. Und wer weiß, vielleicht besuchte Ulf eines Tages die dänische Hauptstadt, und sie traf ihn auf der Straße. So oft hatte sie sich die Szene ausgemalt, wie sie, ohne es zu ahnen, aufeinander zugingen, ihre Blicke sich trafen, sie überrascht stehen blieben und beide gleichzeitig anfingen zu reden, zu lachen, sich bei den Händen zu fassen, dass sie sich kaum vorstellen konnte, dass es nicht geschehen würde. Von Kopenhagen war es nicht weit bis zur schwedischen Grenze, einmal nur über den Öresund, und Ulfs Schwester Irene lebte in Malmö. Ein Katzensprung. Niemand würde sagen können, sie hätte sich nicht an ihren Vertrag gehalten. Niemand konnte ihr Lianne wegnehmen. Sie spürte die Müdigkeit in ihren Gliedern. Es war ein langer, heißer Tag gewesen. Es waren lange Jahre gewesen. Sie reckte sich und stand auf. Bevor sie ins Bett ging, warf sie noch einen Blick in Liannes Zimmer. Sie schlief, im Arm das Glas mit dem Käfer, die dunklen Locken ungeordnet auf dem Kopfkissen um sie herum. Leise löschte Caroline das Licht …

    Sie schlug die Augen auf, lauschte in die Dunkelheit und fragte sich, was sie geweckte hatte. Sie fühlte sich wie

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