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Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)

Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Dein totes Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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werden muss, um zum Tod zu führen«, hatte ihm der behandelnde Arzt erklärt. »Aber aufgrund der schweren Hypothermie, der ihr Körper ausgesetzt war, ist sie sehr geschwächt. Wir müssen ihr Zeit geben.«
    Carolines Körpertemperatur hatte nur noch dreißig Grad Celsius betragen, als sie in die Notaufnahme des Krankenhauses eingeliefert worden war. Ihr Leben hatte an einem seidenen Faden gehangen. Er konnte den Ärzten keinen Vorwurf machen. Sie hatten alles Menschenmögliche getan, um Caroline zu retten. Sie hatten ihr die Tür zurück ins Leben geöffnet. Hindurchgehen musste sie nun selber. Aber war er wirklich der Anreiz, den sie dafür brauchte?
    Er streckte seine Hand aus, doch kurz bevor er ihre Finger berührte, zögerte er. Was konnte er ihr noch bieten, das sie nicht bereits abgelehnt hatte? Und wieder kehrten seine Gedanken wie nach einem Zirkellauf zu dem einen entscheidenden Punkt zurück: Caroline war nicht einfach fortgegangen, hatte ihn nicht einfach nur verlassen. Sie hatte den Tod gesucht. Und er musste sich ernsthaft fragen, wie viel Schuld er daran besaß. Sie war schon immer fragil gewesen, keine Frau, die ihr Leben in die Hand nahm, sondern eine, die sich von den Umständen treiben ließ. Er hatte es damals nicht wahrhaben wollen oder in seiner Unerfahrenheit schlicht nicht begriffen. Aber im Laufe seiner Ausbildung hatte er viel gelernt über Psychologie und im Nachhinein so manche Situation, die er mit Caroline erlebt hatte, in neuem Licht gesehen und sein eigenes Handeln, seinen Stolz und seine Ungeduld durchaus in Frage gestellt. Nicht dass diese Reflexion zu irgendetwas geführt hätte außer zu Selbstvorwürfen. Aber war er heute geduldiger, weniger empfindlich? Konnte er ihr geben, was sie brauchte? Er hatte seine Zweifel auch Maybrit gegenüber geäußert.
    »Gib ihr eine Chance«, hatte sie von ihm verlangt.
    Gib ihr eine Chance.
    Unsicher streckte er erneut seine Hand aus. Die ihre lag auf den weißen Laken, und während er die langen, schlanken Finger betrachtete, meinte er zu spüren, wie eben diese Finger über sein Gesicht strichen, seinen Mund berührten, und für einen wunderbar entrückten Moment hörte er sogar Carolines leises Lachen.
    Er nahm ihre Hand. Sie fühlte sich warm und weich an, gleichzeitig aber war es, als berühre er die Hand einer Toten. »Ich will dich nicht verlieren, Lilli«, flüsterte er in die Dunkelheit. »Verstehst du das nicht?«

36.
    » M ama?« Liannes helle Stimme drang aus dem Garten zu ihr herein. »Mama, schau mal, was ich gefunden habe!«
    Caroline stand von ihrem Schreibtisch auf und trat an die Terrassentür. Lianne saß auf den Steinen in der Sonne und streckte ihr die zu einer Schale geformten Hände entgegen. »Schau nur, Mama!«
    Caroline ging hinaus und blickte auf einen großen goldglänzenden Käfer in der Kinderhand.
    »Er sieht aus wie der Käfermann aus der Geschichte, die du mir vorgelesen hast«, plapperte Lianne weiter.
    »Ja, so sieht er wirklich aus«, stimmte Caroline ihrer Tochter zu, »aber glaubst du nicht, dass er sich im Gras wohler fühlt als in deiner Hand?«
    Lianne runzelte ihre braungebrannte Stirn. »Ich möchte ihn behalten. Ich baue ihm eine Wohnung in einem Glas.«
    Caroline seufzte. »Na gut, aber nur für eine Nacht.«
    Lianne warf ihr einen strahlenden Blick zu und rannte an ihr vorbei ins Haus. Caroline folgte ihr und sah, wie Lianne vor Ulfs Fotografie auf dem Sideboard stehen blieb und ihre geöffneten Hände vor das Bild hielt. »Schau nur, Papa, was ich hier habe!« Dann war sie auch schon in der Küche verschwunden und rumorte in einem der Vorratsschränke.
    Carolines Blick blieb an der Fotografie hängen. Lianne sprach oft mit Ulf, seit Caroline sein Bild dort aufgestellt hatte. Es war Liannes Vorschlag gewesen. »Dann kann Papa immer sehen, was wir machen«, hatte sie ihre Idee mit kindlicher Ernsthaftigkeit begründet. Caroline hatte sich anfangs mehr aus schlechtem Gewissen als aus Überzeugung auf dieses Spiel eingelassen, doch inzwischen ertappte sie sich selbst bisweilen, dass sie ihm Dinge erzählte, die sie beschäftigten oder über die sie mit sich ins Reine kommen musste. »Wir werden wieder einmal umziehen«, sagte sie jetzt. »Wir gehen zurück nach Europa. Zumindest für eine Weile.« In seine Nähe. Allein der Gedanke ließ ihr Herz schneller schlagen. »Ich habe eine Anstellung in Kopenhagen bekommen.« Fast sechs Jahre waren vergangen, seit sie ihn verlassen hatte.
    »Mama, warum

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