Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
Heizung. Hat sie das Fenster geöffnet, um Hilfe zu rufen?
Mein Blick fällt auf die Scheibe rechts neben mir, die von Fingerabdrücken und etwas anderem verschmiert ist. Ich brauche mehr Licht.
»Bitte eine Taschenlampe!«, rufe ich Ruiz zu.
»Was hast du entdeckt?«
Ich zeige auf die Spuren an der Scheibe.
Der Mechaniker holt eine Arbeitslampe in einer Metallfassung. Das Stromkabel hängt über seiner Schulter. Als das Licht
sich durch die Garage bewegt, huschen riesige Schatten über die Backsteinmauer und lösen sich wieder auf.
Ich halte die Lampe von außen vor die Scheibe und kann feine Linien ausmachen wie die Kinderzeichnung an einem beschlagenen Fenster, nachdem es aufgehört hat zu regnen. Aber diese Striche stammen nicht von Kinderhand. Sie wurden auf die Scheibe übertragen, als jemand etwas dagegengepresst hat.
Ruiz sieht den Mechaniker an. »Rauchen Sie?«
»Ja.«
»Ich hätte gerne eine Zigarette.«
»Hier drinnen ist Rauchen verboten.«
»Seien Sie so nett.«
Ich sehe Ruiz verwirrt an. Ich war schon mindestens zwei Mal Zeuge, wie er das Rauchen aufgegeben hat, habe jedoch nie miterlebt, wie er spontan wieder damit anfängt.
Ich folge den beiden ins Büro. Ruiz zündet sich eine Zigarette an, zieht heftig daran und starrt beim Ausatmen an die Decke.
»Nimm auch eine«, fordert er mich auf.
»Ich rauche doch nicht.«
»Nimm einfach.«
Der Mechaniker gibt mir Feuer. Derweil fischt Ruiz die Kippen aus dem Aschenbecher und zerstampft die Asche zu einem feinen grauen Puder.
»Haben Sie eine Kerze?«
Der Mechaniker durchsucht sämtliche Schubladen, bis er eine gefunden hat. Ruiz zündet sie an, lässt Wachs auf einen Unterteller tropfen und drückt die Kerze hinein, bis sie aufrecht steht. Dann hält er eine Kaffeetasse seitlich über die Flamme, bis sie komplett mit Ruß überzogen ist.
»Ein alter Trick«, erklärt er, »den mir ein gewisser George Noonan beigebracht, ein Typ, der mit Toten redet. Er ist Pathologe.«
Ruiz beginnt, Ruß von der Tasse in den Aschehaufen zu
kratzen und beides mit einer Bleistiftspitze vorsichtig zu verrühren.
»Jetzt brauchen wir einen Pinsel. Etwas Feines, Weiches.«
Christine Wheeler hatte ein kleines Schminktäschchen im Handschuhfach. Ich hole es und leere es auf den Schreibtisch - Lippenstift, Mascara, Eyeliner und ein Edelstahldöschen mit Rouge und einem Pinsel.
Ruiz fasst den Pinsel behutsam mit Daumen und Zeigefinger, als könnte er in seiner Hand zerbröseln. »Das müsste gehen. Nehmen Sie die Lampe mit.«
Wir gehen zurück zu dem Renault, wo Ruiz sich auf den Fahrersitz setzt und die Tür offen stehen lässt, während der Mechaniker die Lampe von außen vor die Scheibe hält. Sorgsam darauf bedacht, nicht zu heftig zu atmen, beginnt Ruiz, die Mischung aus Ruß und Asche auf die Innenseite der Scheibe zu pinseln. Das meiste rieselt direkt auf seine Schuhe, aber eine feine Spur des Puders bleibt an den seltsamen Zeichen auf dem Glas haften. Wie bei einem Zaubertrick bilden sich Symbole heraus, die sich zu einem Wort formen.
HILFE
Ein lang anhaltendes Donnergrollen zerreißt die Luft, und tief in mir reißt auch etwas. Christine Wheeler hat mit Lippenstift ein Schild geschrieben, es von innen gegen das Wagenfenster gedrückt und gehofft, dass jemand es sehen würde. Niemand hat Notiz davon genommen.
Mitten im Hof balancieren Bogenlampen auf Stativen und tauchen das Gelände in ein so grelles Weiß, dass alles jenseits davon ganz im Schatten versinkt. Die weißen Overalls scheinen von innen zu leuchten.
Der Wagen wird auseinandergenommen. Sitze, Matten, Scheiben, Armaturen und Innenverkleidung werden entfernt, abgesaugt, auf Fingerabdrücke untersucht, gesiebt, abgekratzt und gerupft wie der Kadaver eines Metalltiers. Jedes Bonbonpapier,
jede Faser, jede Fussel, jeder verschmierte Abdruck wird fotografiert, gesichert und verzeichnet.
Feine Bürsten tanzen über alle harten Oberflächen und hinterlassen eine Schicht aus schwarzem oder silbernem Puder, das viel feiner ist als die selbst gemachte Version von Ruiz. Magnetstäbe tasten die Luft ab und nehmen Details wahr, die für das menschliche Auge unsichtbar sind.
Der Leiter des Spurensicherungsteams ist stämmig und kommt aus Birmingham. In seinem Overall sieht er aus wie ein weißes Gummibärchen. Offenbar hält er gerade einen Master-Kurs für eine Gruppe von Trainees ab: Er spricht von der »Flüchtigkeit des Beweismaterials« und der Wichtigkeit, »die Unversehrtheit eines
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