Deine Juliet
einer Feier sind (das sind wir meistens), gehen wir ins Kino oder ins Theater, in einen Nachtclub oder eine verrufene Spelunke (er sagt, er will mir demokratische Werte näherbringen). Es ist sehr aufregend.
Ist Dir schon mal aufgefallen, dass es Menschen gibt – besonders Amerikaner –, die vom Krieg unberührt oder zumindest nicht zermürbt erscheinen? Ich möchte damit nicht andeuten, dass Mark ein Drückeberger war – er hat bei der Luftwaffe gedient –, aber er hat sich einfach nicht unterkriegen lassen. Und wenn ich mit ihm zusammen bin, fühle auch ich mich vom Krieg unberührt. Ich weiß, dass es eine Täuschung ist, und ich würde mich aufrichtig schämen, wenn der Krieg mich unberührt gelassen hätte. Aber es ist verzeihlich, wenn ich mich ein bisschen amüsiere, oder?
Ist Dominic schon zu groß für einen Schachtelteufel? Ich habe gestern in einem Geschäft einen gesehen. Er schnellt feixend und schlängelnd heraus, ein geölter schwarzer Schnurrbart zwirbelt sich über spitzen weißen Zähnen. Ein Schurke wie aus dem Bilderbuch. Dominic fände es bestimmt toll, sobald er über den ersten Schrecken hinweg wäre.
Liebste Grüße,
Juliet
Juliet an Isola Pribby
28. Februar 1946
Liebe Isola,
haben Sie vielen Dank für Ihren Brief über sich und über Emily Brontë. Ich musste lachen, als ich las, dass Emily Sie in der Sekunde gepackt hat, als der Geist der armen Cathy ans Fenster klopfte. Mir ging es ebenso, an
genau derselben Stelle
.
Unsere Lehrerin hatte uns
Sturmhöhe
als Lektüre für die Frühjahrsferien aufgegeben. Meine Freundin Sophie Stark und ich haben zwei Tage lang über diese Ungerechtigkeit gejammert. Schließlich sagte ihr Bruder Sidney, wir sollten den Mund halten und einfach anfangen
.
Ich fing an zu lesen, immer noch wütend, bis ich an die Stelle mit Cathys Geist kam. Nie wieder habe ich ein solches Grauen gefühlt. Ungeheuer oder Vampire in Büchern haben mir keinen Schrecken eingejagt – aber Geister sind etwas ganz anderes.
Sophie und ich sind den Rest der Ferien nur noch vom Bett zur Hängematte und von da zum Lehnstuhl umgezogen und haben
Jane Eyre, Agnes Grey, Shirley
und
Die Herrin von Wildfell Hall
gelesen.
Ich habe mich entschieden, über Anne Brontë zu schreiben, weil sie am unbekanntesten ist, aber eine ebenso gute Schriftstellerin wie Charlotte. Gott weiß, wie Anne es überhaupt geschafft hat, unter dem Einfluss ihrer bigotten Tante Branwell Bücher zu schreiben. Emily und Charlotte waren so vernünftig, sich ihrer freudlosen Tante zu entziehen, nicht aber die arme Anne. Stellen Sie sich vor, da wurde gepredigt, Gott habe die Frauen dazu bestimmt, sittsam, sanft und melancholisch zu sein. So viel weniger Ärger im Haus – was für eine boshafte alte Vettel!
Ich hoffe, dass Sie mir wieder schreiben werden.
Aufrichtig,
Ihre Juliet
Eben Ramsey an Juliet
28. Februar 1946
Sehr geehrte Miss Ashton,
ich lebe auf Guernsey, und mein Name ist Eben Ramsey. Meine Vorväter waren Grabsteinmetze und Bildhauer – Lämmer waren ihre Spezialität. Ich beschäftige mich gerne mal an einem Abend mit dergleichen, doch meinen Lebensunterhalt bestreite ich mit Fischen.
Mrs. Maugery sagt, Sie wünschen sich Briefe über unsere Lektüre während der Besatzung. Ich wollte nie über diese Zeit sprechen – oder nachdenken, wenn es sich vermeiden lässt –, aber Mrs. Maugery sagt, wir können auf Ihr Urteil vertrauen, wenn Sie über den Club während des Krieges schreiben. Wenn Mrs. Maugery das sagt, dann glaube ich es. Außerdem besaßen Sie die Güte, meinem Freund Dawsey ein Buch zu schicken, wo Sie ihn doch gar nicht kennen. Und nun schreibe ich Ihnen und hoffe, dass es für Ihren Bericht von Nutzen sein wird.
Ich muss sagen, zuerst waren wir gar kein richtiger Literaturclub. Abgesehen von Elizabeth, Mrs. Maugery und vielleicht noch Booker haben die meisten von uns seit der Schulzeit nicht viel mit Büchern zu tun gehabt. Wir haben sie ganz vorsichtig aus Mrs. Maugerys Regalen genommen, aus Angst, das feine Papier zu ruinieren. Ich hatte damals keinen Geschmack an derlei Dingen. Nur der Gedanke an den Kommandanten und ans Gefängnis hat mich dazu gebracht, das Buch aufzuschlagen und anzufangen.
Es hieß
Shakespeare. Eine Auswahl
. Später erkannte ich, dass Mr. Dickens und Mr. Wordsworth Menschen wie mich im Sinn hatten, als sie ihre Worte schrieben. Doch ich glaube, allen voran war es Shakespeare. Bewahre, ich verstehe
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