Deine Juliet
Mrs. Atwaters Laube nie verziehen, stimmt’s? Dabei habe ich mich damals artig entschuldigt.)
Deine andere Sekretärin hat mir besser gefallen. Und weißt Du was, Du hast sie wegen nichts an die Luft gesetzt. Markham Reynolds und ich haben uns getroffen. Na gut, es war etwas mehr als nur ein Treffen. Wir haben Rumba getanzt. Aber Du kannst unbesorgt sein, er hat
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nur flüchtig erwähnt, und er hat nicht versucht, mich nach New York zu locken. Wir haben uns über erhabenere Dinge unterhalten, zum Beispiel über viktorianischeLiteratur. Er ist kein oberflächlicher Banause, wie Du mich glauben machen wolltest, Sidney. Er ist ein großer Kenner von Wilkie Collins, ausgerechnet. Hast Du gewusst, dass Wilkie Collins zwei separate Haushalte mit zwei separaten Geliebten und zwei separaten Kinderscharen unterhielt? Die Zeiteinteilung muss ein großes Problem gewesen sein. Kein Wunder, dass er Opium nahm.
Ich denke, Mark würde Dir gefallen, wenn Du ihn besser kennen würdest, und das wirst Du vielleicht bald. Er verlegt nämlich nicht nur Bücher, er schreibt auch welche. Wusstest Du, dass er eine Biographie über Wilkie Collins geschrieben hat? Ein völliger Fehlschlag, genau wie mein Buch über Anne Brontë. Wir haben darüber gejammert, wie hoffnungslos eine Leserschaft ist, die von Wilkie Collins und Anne Brontë unberührt bleibt. Es war ein wunderbarer Abend, aber keine Bange – mein Herz und meine Schreibhand gehören Stephens & Stark.
Der Artikel für die
Times
ist für mich zu einem anhaltenden Vergnügen geworden. Ich habe mich mit einer Gruppe von Leuten von den Kanalinseln angefreundet – dem Club der Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf. Ist der Name nicht entzückend? Wenn Piers Zerstreuung braucht, schreibe ich Euch in einem schönen dicken Brief, wie sie zu ihrem Namen kamen. Wenn nicht, erzähle ich es Dir, wenn Du nach Hause kommst (wann kommst Du nach Hause?).
Meine Nachbarin Evangeline Smythe erwartet im Juni Zwillinge. Sie ist nicht besonders froh darüber, weswegen ich sie bitten werde, mir einen abzugeben.
Liebste Grüße an Dich und Piers,
Deine Juliet
Juliet an Sophie
28. Februar 1946
Liebste Sophie,
ich bin so überrascht wie Du. Er hat mir gegenüber kein Sterbenswörtchen verlauten lassen. Letzten Dienstag wurde mir bewusst, dass ich seit Tagen nichts von Sidney gehört hatte, darum bin ich zu Stephens & Stark gegangen, um mich in Erinnerung zu bringen, und habe dabei erfahren, dass er ausgeflogen ist. Seine neue Sekretärin ist ein Biest. Auf alle meine Fragen sagte sie: «Ich kann keinerlei Informationen privater Natur preisgeben, Miss Asthon.» Ich hätte ihr zu gerne eine geklebt.
Als ich gerade drauf und dran war zu folgern, dass Sidney vom Geheimdienst angeworben wurde und sich auf einer Mission in Sibirien befindet, rückte die schreckliche Miss Tilley damit heraus, dass er nach Australien geflogen ist. Damit ist alles klar, oder? Er ist dort, um sich Piers zu schnappen. Teddy Lucas ist offenbar überzeugt, dass Piers sich in diesem Gästehaus langsam, aber sicher zu Tode säuft, wenn keiner kommt und ihn daran hindert. Ich kann es ihm kaum verdenken, nach dem, was er durchgemacht hat – aber Sidney wird es nicht zulassen, Gott sei Dank.
Du weißt, ich bin Sidney von Herzen zugetan, aber es hat etwas herrlich Befreiendes, Sidney in
Australien
zu wissen. Mark Reynolds war in den vergangenen drei Wochen von einer beharrlichen Aufmerksamkeit, wie Deine Tante Lydia gesagt haben würde, aber auch, wenn ich Hummer verschlang und Champagner schlürfte, hielt ich immer verstohlen nach Sidney Ausschau. Er glaubt felsenfest, dass Mark versucht, mich London im Allgemeinen und Stephens & Stark im Besonderen auszuspannen, und ich konnte ihn durch nichts vom Gegenteil überzeugen. Ich weiß, dass er Mark nicht leiden kann – ich glaube, er hat ihn als aggressiv und skrupellos bezeichnet, als ich ihndas letzte Mal sah –, er hat sich wirklich ein bisschen wie König Lear aufgeführt wegen der Geschichte. Ich bin – meistens – eine erwachsene Frau und kann Champagner schlürfen, mit wem ich will.
Wenn ich nicht gerade hinter Tischdecken nach Sidney gesucht habe, ist es mir einfach wundervoll ergangen. Es ist ein Gefühl, als sei ich aus einem schwarzen Tunnel getreten und befände mich mitten auf einem Volksfest. Ich mache mir nicht viel aus Volksfesten, aber nach dem Tunnel ist es wunderbar. Mark ist jeden Abend unterwegs – wenn wir nicht auf
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