Deine Juliet
Isola Pribby über die Brontë-Schwestern erhalten. Abgesehen davon, dass sie mich entzückten, haben sie mir nagelneue Eingebungen für meinen Artikel verschafft. Mit den beiden und Ihnen sowie mit Mr. Ramsey und Mrs. Maugery schreibt praktisch Guernsey meinen Artikel für mich. Sogar Miss Adelaide Addison hat ihren Teil beigetragen – ihr zu trotzen wird mir ein Vergnügen sein.
Ich verstehe nicht so viel von Kindern, wie mir lieb wäre. Ich bin die Patentante eines großartigen dreijährigen Jungen namens Dominic, des Sohnes meiner Freundin Sophie. Sie leben in Schottland unweit von Oban, und ich sehe ihn nicht oft. Aber wenn ich ihn sehe, staune ich jedes Mal darüber, wie er mehr und mehr zu einer kleinen Person wird – kaum habe ich mich daran gewöhnt, ein warmes Babybündel herumzutragen, schon ist er keins mehr und hat angefangen, allein herumzuwanken. Ich verpasse sechs Monate, und siehe da, er hat sprechen gelernt! Jetzt spricht er mit sich selbst, was ich schrecklich liebenswert finde, weil ich das auch tue.
Ein Mungo, so viel können Sie Kit sagen, ist ein wieselähnliches Tier mit sehr scharfen Zähnen und launischem Wesen. Er ist der einzige natürliche Feind der Kobra und unempfindlich gegen Schlangengift. Mangelt es an Schlangen, knabberter Skorpione. Vielleicht können Sie ihr einen als Haustier besorgen.
Herzlich,
Juliet
PS: Ich habe es mir zweimal überlegt, diesen Brief abzuschicken – was, wenn Adelaide Addison eine Freundin von Ihnen ist? Dann kam ich zu dem Schluss, nein, das kann unmöglich sein – also, ab in die Post damit.
John Booker an Juliet
27. März 1946
Sehr geehrte Miss Ashton,
Amelia Maugery bat mich, Ihnen zu schreiben, denn ich bin Gründungsmitglied des Clubs der Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf – dabei habe ich nur immer wieder dasselbe Buch gelesen. Es heißt
Die Briefe Senecas. Übersetzung aus dem Lateinischen in einem Band. Mit Anhang.
Seneca und der Club haben mich davor bewahrt, das schreckliche Leben eines Trinkers zu führen.
Von 1940 bis 1944 habe ich mich bei den Deutschen als Lord Tobias Penn-Piers ausgegeben, das ist mein ehemaliger Herr, der überstürzt nach England floh, als Guernsey bombardiert wurde. Ich war sein Diener und bin geblieben. Mein richtiger Name ist John Booker, und ich bin in London geboren und aufgewachsen.
An dem Abend, als es Amelias Schweinebraten gab, wurde ich mit den anderen nach der Sperrstunde erwischt. Ich kann mich nicht deutlich daran erinnern. Ich war sicher beschwipst,denn das war ich meistens. Ich weiß noch, dass Soldaten gerufen und mit Gewehren gefuchtelt haben und dass Dawsey mich gestützt hat. Dann hörte ich Elizabeths Stimme. Sie sagte etwas von Büchern – weiß der Kuckuck warum. Danach hat Dawsey mich geschwind über eine Weide weitergezogen, und dann bin ich ins Bett gefallen. Das ist alles.
Aber Sie wollen wissen, welchen Einfluss Bücher auf mein Leben hatten, und, wie gesagt, es gab nur eines, Seneca. Wissen Sie, wer er war? Er war ein römischer Senator, der Briefe an erdachte Freunde schrieb und ihnen sagte, wie sie sich den Rest ihres Lebens verhalten sollten. Das mag sich langweilig anhören, aber das sind die Briefe nicht – sie sind witzig. Ich glaube, man lernt mehr, wenn man dabei etwas zu lachen hat.
Mir scheint, dass man mit Senecas Worten gut fährt – jedermann und jederzeit. Ich nenne Ihnen ein lebendes Beispiel: Nehmen Sie die Luftwaffe und ihre Frisuren. Während des Blitzkriegs startete die Luftwaffe von Guernsey aus und vereinigte sich auf dem Weg nach London mit den großen Bombern. Sie flogen nur nachts, sodass sie die Tage für sich hatten, die sie nach Belieben in St. Peter Port verbringen konnten. Und wie haben sie sie verbracht? In Friseursalons, wo sie sich die Nägel polieren, die Gesichter massieren, die Augenbrauen formen, die Haare wellen und frisieren ließen. Wenn ich sie mit ihren Haarnetzen zu fünft nebeneinander auf der Straße gehen und die Einheimischen vom Bürgersteig drängen sah, dachte ich an Senecas Worte über die Wachtruppen der Prätorianer. Er hat geschrieben: «Jeder Einzelne von ihnen sähe lieber Rom zerstört als seine Frisur.»
Ich will Ihnen nun erzählen, wie ich dazu kam, mich für meinen ehemaligen Herrn auszugeben. Lord Tobias wollte den Krieg an einem sicheren Ort überstehen, deshalb kaufte er die Villa La Fort auf Guernsey. Er hatte den Ersten Weltkrieg in der Karibik verbracht, dort aber
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