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Deine Schritte im Sand

Deine Schritte im Sand

Titel: Deine Schritte im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Dauphine Julliand
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unwillkürlich, dass ihre Ankunft ausgerechnet jetzt kein Zufall sein kann. Azylis ist da, um uns Zuversicht zu geben. Ich klammere mich an diese Vorstellung wie an einen Rettungsring. Manchmal habe ich den Eindruck, dass ihr Stimmchen mir zuflüstert: »Ich bin da. Ich lebe. Alles wird gut.«
    Die Geburt soll vierzehn Tage vor dem errechneten Termin eingeleitet werden. Wir bekommen die Gelegenheit, das Geburtsdatum selbst festzulegen, und beschließen, dass Azylis am 29. Juni zur Welt kommen soll. Dieses Datum bedeutet Loïc und mir sehr viel. Am 29. Juni lieben wir uns seit sieben Jahren. Jeden einzelnen Tag. In guten wie in schlechten Zeiten.
    DONNERSTAG, 29. JUNI, 15 UHR 30 . Ein Atemzug. Ein Schrei. Ein Leben. Azylis ist da, wunderschön, rosig, brüllend und lebendig. Und mit einem Mal brechen alle Schutzmauern ohne Vorwarnung zusammen. Die Liebe überwältigt mich. Ich liebe dich, du mein winziges Töchterchen. Ich vergesse alles: das Damoklesschwert über deinem Köpfchen, die schreckliche Krankheit, die dich bedroht, die Nächte voller Angst, die Stunden des Zweifels, die Angst vor der Zukunft, die Furcht vor der Liebe. Ich halte nicht länger die Luft an und will meine Gefühle nicht mehr beherrschen. Ich liebe dich!
    Azylis hält die Zeit für einen Moment absoluten Glücks an. Als ob die Sonne das Gewitter wie durch ein Wunder plötzlich verjagt hätte. Von Tränen und Regen keine Spur mehr. Es ist das Wunder des Lebens.
    Unsere Tränen sind warm und rund. Sie haben den tröstlichen Geschmack von Lebensgefühl und Freude. Ja – in diesem Augenblick sind wir wirklich glücklich.

I CH WEISS NICHT, WAS SCHLIMMER IST – das Wissen oder das Warten. Das Warten zwingt einen dazu, sich erschreckend passiv zu verhalten. Alles ist noch möglich, auch das Furchtbarste. Es nährt den Zweifel, liefert aber nicht die notwendige Energie für jemanden, der sich, wohl wissend, dass er scheitern wird, in einen aussichtslosen Kampf wirft.
    Ich betrachte Azylis, die in ihrem Plexiglasbettchen schläft, und weiß nicht, was vor mir liegt. Ist es Hoffnung oder eine weitere Bewährungsprobe? Sorglosigkeit oder Krankheit? Ich zermartere mir den Kopf, wie die Antwort lauten könnte. Azylis sieht Gaspard ähnlicher als Thaïs. Vielleicht bleibt ihr die Krankheit erspart. Mit Logik aber ist der Genetik nicht beizukommen. Ich versuche es auf andere Weise. Wenn eine Krankenschwester mein Zimmer betritt, ehe ich bis zehn gezählt habe, ist Azylis nicht krank. Doch die Genetik gehorcht auch keinem Aberglauben.
    In dieser Nacht finde ich wieder keinen Schlaf. Die Freude über das Neugeborene ist noch immer da, doch darüber liegt wie ein düsterer Schatten die Angst.
    An diesem Nachmittag lernen Gaspard und Thaïs ihre kleine Schwester kennen. Beide betrachten sie andächtig, aber Gaspard verliert schnell das Interesse an dem Baby und widmet sich ganz dem Zorro-Kostüm, das wir ihm zur Feier der Geburt geschenkt haben. Thaïs hingegen würdigt ihre neue, vollständig eingerichtete Kinderküche keines Blickes. Sie hat nur Augen für Azylis, streichelt sie und wiederholt immer wieder die Worte: »Hallo, Baby. Ich habe dich lieb, Baby.« Die Begegnung der beiden kleinen Mädchen bietet ein rührendes Bild.
    Neben ihrer neugeborenen Schwester wirkt Thaïs plötzlich so groß. Ich beobachte sie aufmerksam und mit einer gewissen Unruhe. Es ist kaum vierundzwanzig Stunden her, dass ich sie zuletzt gesehen habe, doch sie erscheint mir verändert. Mir fällt auf, wie stark sie zittert. Ihr Kopf wackelt ein wenig. Wenn sie spricht, verhaspeln sich die Worte in ihrem Mund. Sie hält sich nicht mehr gerade; sie lässt die Schultern hängen. Auch ist sie sehr blass. Das Übel wütet auf hinterhältige Weise. Angst umklammert mein Herz.
    Ich will mich nicht mehr von ihr trennen. Nie mehr. Ich fürchte, etwas zu versäumen und eines Tages die nicht an ihrer Seite verbrachte Zeit zu bereuen. Diese Zerrissenheit ist eine schreckliche, maßlose Belastungsprobe. Und sie ist immer da. Wie gern würde ich mir Zeit für Gaspard nehmen, aber ohne Thaïs allein zu lassen. Wie gern würde ich ruhige Augenblicke mit Loïc genießen, ohne das Gefühl zu haben, mein Töchterchen zu vernachlässigen. Ich müsste mich nicht nur in zwei, sondern in drei oder gar vier Personen aufspalten, um jedem meiner Lieben genügend Zeit widmen zu können. Ich wünsche mir unbegrenzte Möglichkeiten. Welch wunderbarer Traum … Die einzige Rettung vor der Verzweiflung ist und

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