Deine Schritte im Sand
einfach: ›Problem!‹ Dann kommst du und siehst nach, was los ist. Und kümmerst dich um sie. Dann kann ich ruhig weiter mit ihr spielen. Weißt du, ich spiele eigentlich gern mit ihr. Auch wenn sie krank ist. Ich habe sie nämlich sehr, sehr lieb.«
I CH WERDE UNSANFT VON EINEM FUSSTRITT GEWECKT . Dabei scheine ich gerade erst eingeschlafen zu sein. Ich schaue auf die Uhr: Es ist vier Uhr morgens. Ich bin tatsächlich gerade erst eingeschlafen …
Das Gestrampel geht fröhlich weiter. Das Baby in meinem Bauch scheint nicht müde zu sein und hat wohl beschlossen, dass ich ihm Gesellschaft leisten soll. Fest umschließe ich meinen Bauch mit den Händen. Ich wünsche mir, dass das kleine, energiegeladene Wesen auf diese Weise spürt, wie sehr ich es liebe – und dass es so auch all die anderen Dinge fühlt, die ich ihm nicht sagen kann.
Manchmal wird behauptet, die Schwangerschaft sei ein Lebensabschnitt jenseits der normalen Zeitrechnung. Manche Frauen empfinden sie als Erfüllung und Versprechen.
Für uns waren die letzten Monate sehr beschwerlich. Dieses Baby zu erwarten hat unsere Sorgen nicht gedämpft. Im Gegenteil. Am 1. März haben ein paar Worte genügt, unsere Gegenwart zu zerstören und unsere Zukunft mit einer schweren Hypothek zu belasten. Die Chancen stehen eins zu vier, dass unser Ungeborenes ebenfalls krank ist. Eins zu vier, dass der Albtraum erneut beginnt. Und auch für alle weiteren Kinder besteht dieses Risiko. Natürlich kann man es auch positiv ausdrücken und sich sagen, dass es nur fünfundzwanzig Prozent sind – aber es sind fünfundzwanzig Prozent zu viel.
Wie beneide ich die jungen Mütter, die neun Monate lang nur über ihre Gewichtszunahme und die Auswahl des Namens für ihr Baby nachgrübeln. Ich beneide sie, und ich bin ihnen böse, weil ich selbst meinen Leib nicht betrachten kann, ohne vor Angst zu zittern. Ob sie wissen, wie viel Glück sie haben? Ob sie diesen Luxus genießen können? Ich wünsche ihnen, dass sie ihre Sorglosigkeit behalten – wären alle sich im Voraus aller Krankheiten und Fehlbildungen bewusst, die auftreten können, würde wahrscheinlich niemand jemals ein Kind bekommen.
Während der Monate März und April verschließe ich mein Herz, um mir die Schwangerschaft nicht noch zusätzlich zu erschweren. Ich versuche, mich nicht allzu eng an das Ungeborene zu binden und vor allem nicht zu oft an das Baby zu denken. Oder besser: nicht daran zu denken, dass es eines Tages geboren wird und dass wir dann Gewissheit haben werden. Nicht nachzudenken, um nicht zu leiden. Die Liebe macht uns verletzlich. Ich hindere mich daran, mein Baby zu lieben, um die Situation ertragen zu können.
Sobald der mütterliche Instinkt die Oberhand gewinnt, weise ich ihn so weit wie möglich von mir. Am liebsten würde ich die Liebe anhalten, wie man den Atem anhält. Meine widersprüchlichen Gefühle und Wünsche machen mir schwer zu schaffen. Auch Loïc spürt die Distanz, die ich zwischen dem Baby und mir zu halten versuche. Er sieht, dass ich verunsichert bin. Es geht ihm genauso. Auch er hat Schwierigkeiten, sich das neue Leben vorzustellen, das still in mir heranwächst. Ausgerechnet er, der normalerweise ein so umsichtiger und aufmerksamer Vater ist. Einer jener Männer, die schon mit ihrem Baby sprechen, wenn es sich noch im Bauch ihrer Frau befindet. Einer von denen, die bei jedem Ultraschallbild gerührt sind und jede Bewegung des Ungeborenen verfolgen. Einer von denen, die ungeduldig die Tage bis zur Niederkunft zählen.
Die Situation macht uns traurig. Wie gern würden wir uns freuen und glücklich die Ankunft unseres Babys vorbereiten! Aber wir können es nicht. Und so fassen wir einen Entschluss, der vielleicht banal klingt, für uns jedoch ein Kapital darstellt: Wir wollen feststellen lassen, ob unser Kind ein Junge oder ein Mädchen ist, und es ab sofort bei seinem Vornamen nennen, um es konkreter und tiefer in unserem Leben zu verankern.
»Es ist ein Mädchen«, sagt der Arzt, der den Ultraschall vornimmt. Mit einem kurzen Schweigen zollt er unseren Gefühlen Respekt. Wir sind glücklich. Glücklich und traurig zugleich. Es ist schwierig, sich ein anderes kleines Mädchen vorzustellen, das nicht Thaïs ist. Die eine kommt, die andere geht …
Zum ersten Mal sprechen wir gemeinsam den Namen aus, den wir ausgesucht haben: Azylis. Azylis bedeutet Zukunft, bedeutet Leben. Und Hoffnung. In den schlaflosen Nächten, wenn sie in meinem Bauch herumstrampelt, sage ich mir
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