Deine Schritte im Sand
stattfindende, gründliche Reinigung. Die Putzmannschaft besteht aus wahren Heinzelmännchen. Sie säubern das Zimmer in Rekordzeit. Von ihnen lerne ich einige ebenso zeitsparende wie wirksame Reinigungsmethoden. So etwas kann sich immer als nützlich erweisen.
AUF DER ISOLIERSTATION TRAGEN ALLE ZIMMER die Namen von Personen aus dem berühmten Comic Asterix. Das von Azylis heißt »Obelix«. Ironie des Schicksals oder eher ein Augenzwinkern? Wir jedenfalls amüsieren uns darüber, denn Azylis hat allenfalls die Ausmaße von Idefix. Trotzdem finde ich, dass der Name Obelix zu ihr passt. Das Gewicht stimmt vielleicht nicht ganz, aber ich will glauben, dass sie ebenso viel Kraft hat wie Asterix’ bester Freund. Und außerdem ist auch sie »reingefallen«, als sie noch ganz klein war. Jedenfalls in gewisser Weise.
Der Raum, in dem man Azylis untergebracht hat, ist ganz besonders klein. Das Mobiliar beschränkt sich auf ein absolutes Minimum – ein Gitterbett, ein Fernseher, ein Tisch, ein Telefon. Und eine beeindruckende Vielfalt medizinischer Apparaturen. Neben der Laminar-Air-Flow-Technik ist kein Platz für ein großes Bett. Trotzdem wollen Loïc und ich Tag und Nacht bei unserem Baby sein. Wir bekommen einen Spezialsessel, der in ausgeklapptem Zustand zu einer recht spartanischen Liege wird. Glücklicherweise bin ich nur einen Meter sechzig groß und kann mich auf dem Liegesessel ausstrecken, ohne dass meine Füße über das Fußteil hängen. Aber der mangelnde Komfort spielt auch gar keine Rolle. Selbst mit einer ausgezeichneten Matratze und einer weichen Decke hätten wir nicht gut geschlafen, was nicht nur am Stress und an der Enge, sondern vor allem auch an der Kleidung liegt. Unter den vielen Schichten ist uns oft zu warm. Und nie werden wir uns daran gewöhnen, mit einer Maske über der Nase zu schlafen.
Allmählich haben wir unser Leben an den Dreischichtenbetrieb angepasst. Unsere Tage zerfallen in drei Teile: einen mit Thaïs, einen mit Azylis und einen zu Hause mit Gaspard. Die Dauer ist nicht sehr gerecht, sie hängt vom Ernst der Lage ab. Azylis nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, weil nur Loïc und ich bei ihr bleiben können und wir sie auf keinen Fall allein lassen wollen, denn dazu ist sie noch viel zu klein. Auch Thaïs braucht ständig jemanden an ihrer Seite, aber bei ihr kann meine Mutter uns manchmal ablösen. Was Gaspard angeht, so braucht er zwar auch Zuwendung, aber er fordert uns nicht sehr. Sein Stundenplan ist ständig voll. Er spielt im Garten, macht Ausflüge zum Vieux Port, entdeckt die Stadt, verbringt die Nachmittage am Strand und hat eigentlich keine Minute Langeweile.
Eines Abends, als ich erschöpft aus dem Krankenhaus komme, fällt er mir um den Hals und erklärt fröhlich lächelnd: »Mama, ich finde die Ferien in Marseille ganz super. Hier gibt es so viel Neues! Es war eine tolle Idee herzukommen.« Er hat noch nicht begriffen, dass es nicht nur um die großen Ferien geht. Wenn er wüsste …
I CH HÄTTE NICHT GEDACHT , dass es so beschwerlich werden würde. Eigentlich ist es nämlich keine große Sache – lediglich ein kleines Loch im Bauch, das mit einer Art »Knopf« verschlossen ist: die Magensonde, durch die Thaïs ernährt wird. Für sie ist diese inzwischen lebensnotwendig. Zunächst hatte man ihr eine Nasensonde gelegt, die auch ihren Zweck erfüllte, ihr aber unbequem war. Sobald die Krankenschwestern ihr den Rücken kehrten, riss sie die Schläuche heraus. Daraufhin schlugen uns die Mediziner eine zwar aufwändigere, aber auch wirksamere Methode vor: die Gastrostomie. Wir versuchten, die Entscheidung hinauszuschieben, bis man uns mit der schrecklichen Wahrheit konfrontierte: Thaïs kann fast nicht mehr schlucken. Es ist nicht nur ein Problem, was sie überhaupt noch essen kann, vielmehr wird es auch immer gefährlicher für sie, selbstständig zu essen. Jeder Bissen könnte den falschen Weg nehmen und anstatt in die Speise- in die Luftröhre geraten. Thaïs wird sich also nie wieder auf normalem Weg ernähren können. Wir geben unseren Widerstand auf.
Die Operation verläuft ohne Probleme. Langsam kommt Thaïs zu sich. Ich werfe einen Blick unter ihre Decke. Ein kleiner Schlauch kommt unmittelbar über dem Nabel aus ihrem Bauch. Es sieht sauber und gut aus, scheint ihr keine Schmerzen zu verursachen, und er ist praktisch und leicht zugänglich. Ja, ich weiß um die vielen Vorteile. Trotzdem berührt mich der Eingriff in meinem tiefsten Inneren: Nie mehr werde ich
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