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Deine Schritte im Sand

Deine Schritte im Sand

Titel: Deine Schritte im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Dauphine Julliand
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Nähe des Teams zu sein, das sie üblicherweise behandelt. Ich kann sie nicht begleiten, weil ich unsere bevorstehende Abreise nach Marseille vorbereiten muss. Die Trennung ist für mich eine Tortur. Ich hatte solche Angst, sie zu verlieren. Jetzt fürchte ich, nicht bei ihr sein zu können, wenn sie mich braucht. Die ewige Zerrissenheit. Ich bitte meine Mutter, auf sie aufzupassen. Sie wird die Kleine nicht einen Augenblick lang verlassen, ich brauche mich wirklich nicht zu beunruhigen. Thaïs wird medizinisch bestens versorgt, und meine Mutter kümmert sich liebevoll um sie. Loïc besucht sie jeden Abend. Ich weiß genau, dass sie in guten Händen ist. Und doch bin ich traurig. Ich wünschte, sie wäre bei mir.

A LS WIR IN MARSEILLE ANKOMMEN , fühlen wir uns wie in einem Boxring: Wir haben Angst, aber der wütende Wunsch zu gewinnen beherrscht uns. Im Gegensatz zu einem Boxer, der vor seinem Kampf trainiert hat, gehen wir jedoch blind in das Gefecht. Es gibt so vieles, was wir nicht wissen. Wir sind nicht darauf vorbereitet, der Situation die Stirn zu bieten. Aber wer ist das schon? Der Kampf ist einfach zu ungleich. Wir haben das Gefühl, einer übermächtigen Armee gegenüberzustehen. David hatte immerhin das Glück, nur einem einzigen Goliath trotzen zu müssen.
    Inmitten einer feindlichen Umgebung erscheint uns Chantals Haus wie ein friedlicher Hafen. Es ist ein kleines Paradies im Herzen der Stadt Marseille mit einem hübschen, schattigen Garten und großen, luftigen Räumen. Alles in diesem Haus atmet Ruhe und Frieden. Wir wissen sofort, dass wir uns hier wohlfühlen werden. Hier werden wir nach schrecklichen Tagen und Nächten im Krankenhaus neue Kraft schöpfen können.
    Chantal ist nicht da. Sie hat ihrer Schwiegertochter Laurence die Schlüssel gegeben. Laurence zeigt uns das Haus und begrüßt uns mit der typischen Überschwänglichkeit der Menschen aus dem Süden.
    »Herzlich willkommen! Fühlt euch ganz wie zu Hause. Und wenn ihr irgendetwas braucht – wir wohnen gleich nebenan.«
    Wir fühlen uns gut aufgehoben im Schoß der Familie.
    Gaspard ist völlig hingerissen. Immer schon hat er davon geträumt, in einem Haus zu wohnen. Kaum ist er aus dem Auto gestiegen, sucht er sich einen langen Stock und stürmt in den Garten, um Ameisen zu jagen. »Hier ist es total super!«, hören wir ihn rufen. Wie schön Unbekümmertheit doch sein kann …
    Meine Eltern sind mit uns nach Marseille gekommen. Sie haben darauf bestanden. Als sie uns von ihrem Plan erzählten, reagierten wir zunächst zurückhaltend. Wir wollten sie keinesfalls mit diesem riskanten Abenteuer überfordern. Wir wollten sie schützen. Doch ihr Entschluss stand fest, und er erwies sich als weise. Ihnen war klar, dass Loïc und ich uns nicht allein um unsere drei Kinder kümmern konnten. Ein Organisationsproblem, denn wir verfügen nun einmal nicht über die Gabe, überall zur gleichen Zeit zu sein. Wie hätten wir nur zu zweit die Fahrten zur Schule, die Mahlzeiten, die schulfreien Mittwochnachmittage, die Wochenenden und die Wege zum Krankenhaus bewältigen sollen? Ganz abgesehen von den Unwägbarkeiten? Es war unmöglich und hätte uns eine Beweglichkeit und Energie abgefordert, die wir längst nicht mehr besaßen. Schließlich nahmen wir ihren Vorschlag dankbar an. Um sicherzustellen, dass es uns nie an etwas fehlen würde, verabredeten sie mit meinen Schwiegereltern, sich im Turnus mit ihnen alle vierzehn Tage bei uns abzuwechseln, und zwar für die gesamte Dauer unseres Exils in Marseille.
    Meine Eltern haben gleich die beiden ersten Wochen übernommen. Vor allem mein Vater ist glücklich über den Aufenthalt; er stammt aus Marseille und freut sich darauf, seinen Enkeln seine Heimatstadt zu zeigen.
    WIR BEZIEHEN UNSER NEUES DOMIZIL . Nachdem die Berge von Koffern ausgepackt sind, genießen wir die wohlverdiente Ruhe. Umso mehr, als uns ein schrecklicher nächster Tag bevorsteht: Azylis’ Einlieferung ins Krankenhaus. Und auch Thaïs werden wir wiedersehen, nur leider nicht zu Hause. Sie wird ins gleiche Krankenhaus verlegt wie ihre Schwester. Zwei Etagen tiefer.
    DER FLUR BIRGT KEIN GEHEIMNIS MEHR FÜR MICH . Hundertmal bin ich schon hin und her gewandert. Jedes Mal, wenn die Tür der Aufnahme sich öffnet, laufe ich hin. Ich warte auf Thaïs.
    Loïc ist am frühen Morgen mit dem Zug nach Paris zurückgefahren, um sie auf der Überführung von dem einen ins andere Hospital zu begleiten. Ich kann meine Ungeduld kaum noch im Zaum

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