Deine Seele in mir /
richtige Mischung gefunden zu haben. Julies Mischung. Das sind die Düfte und Substanzen, die ich mit ihr verbinde, auch wenn es zugegebenermaßen eine recht eigenartige Mischung ist. Ein anderer Masseur würde sie so nie zusammenstellen, doch ich besitze viel mehr Öle als meine Kollegen und benutze sie meist sehr unkonventionell.
Das Sonnenblumenöl nehme ich als Basis und vermische es mit dem Honig- und dem Lavendel-Massageöl. Zum Schluss gebe ich noch einen Hauch des Kiefernnadel-Duftöls bei.
Noch ehe ich realisiere warum, wird mir plötzlich schwindlig. Mein Atem hat ausgesetzt, meine Kehle wird trocken, und ich fühle, wie doch im selben Moment der Speichel in meinem Mund zusammenläuft.
Dieser Geruch! Mein Magen verschließt sich unwillkürlich, und ich kämpfe mit mir selbst, um nicht zu würgen.
Verdammt noch mal!, durchzuckt es mich.
Es stimmt wirklich, Gerüche sind die Tore zu allen Erinnerungen, die wir haben. Und nun habe ich ausgerechnet den Duft zusammengemischt, der den Schlüssel zu dem einzigen strikt verbotenen Tor meines Lebens darstellt.
Diese eine, schrecklichste aller Erinnerungen versuche ich bereits seit Jahrzehnten auszulöschen. Vergeblich. Doch ich will sie nicht mehr, sie macht mich kaputt! Und dieses Gemisch setzt mich zielsicher genau dort ab, wo ich nie wieder hingehen wollte: in ein unermesslich weites Sonnenblumenfeld.
Hinter Amy laufe ich durch die großen goldgelben Blumen in Richtung des kleinen Waldes. Es duftet stark nach dem verblühenden Lavendel, nach Honig und Sonnenblumen. Nur langsam mischt sich der Geruch der hohen Kiefern dazu, als wir sie fast schon erreicht haben. Schmerzlich kneife ich meine Augen zusammen. Dann reiße ich sie auf. Plötzlich bin ich überzeugt davon, völlig falsch zu liegen.
Was hat dieser Duft denn mit Julie zu tun? So übel, wie mir mittlerweile ist, grenzt es an Folter, mich ihm weiter auszusetzen. Ich muss mich beherrschen, um nicht aufzuspringen und wegzulaufen. Nur gequält und verzögert schaffe ich es, auf Kristins: »Das riecht aber gut ... Warum hast du denn jetzt ausgerechnet diese Öle ausgesucht?«, zu antworten.
»Ich dachte, sie passen gut zu ihr«, presse ich in einem schnellen Luftstoß hervor und versuche, mir dabei nicht anmerken zu lassen, wie sehr ich meine Auswahl jetzt schon bereue. Ich atme hastig durch den Mund, um dem Geruch zu entgehen, doch auch das hilft nicht wirklich.
»Ja, da hast du recht. Dieser Duft passt wirklich perfekt zu Julie«, bestätigt Tom. »Es riecht nach einem Spätsommertag. Und Julie ist ein Spätsommerkind«, sinniert er fröhlich.
Ich knie mich über Julies Rücken und stelle noch einmal sicher, dass ihre Eltern mein Gesicht nicht sehen können. Mit zittrigen Händen verreibe ich das Öl. Die Übelkeit ist schlimm, mir ist sehr heiß.
Dann, als ich auf Julie herabblicke, die absolut regungslos unter mir liegt, kann ich plötzlich wieder besser atmen.
Langsam aber sicher schaffe ich es nun, meinen Geruchssinn mehr auf den Duft des Raumes zu fokussieren. Auf den Geruch des Feuers, des Kaminholzes, des Tees – und auf den eigenen Duft dieser Familie. Meine Hände schweben nur Millimeter über Julies Haut ihren Rücken hinauf und wieder hinunter. Sie agieren ähnlich einer Wünschelrute auf der Suche nach einer Wasserader.
Wo ist der richtige Punkt, wo die entscheidende Stelle?
Ich schließe meine Augen, und wie von selbst senken sich meine Hände schließlich auf Julies Schulterblätter herab. In leichten, vorsichtigen Kreisen beginne ich meine Bewegungen und erhöhe nur sehr zaghaft den Druck. Wachsam richte ich all meine Sinne auf Julies Körper und auf eventuelle Signale von ihr. Ich möchte wirklich nichts gegen ihren Willen tun.
Zuerst ist es nur eine vage Vermutung, kaum mehr als eine Hoffnung, doch bald werden die Zeichen ihres Körpers so deutlich, dass ich es nicht mehr leugnen kann: Julie entspannt sich wirklich.
Ihr Blinzeln verlangsamt sich, ihre Schultern sacken ein wenig tiefer in die Kissen unter ihr. Auch ihre Atmung wird ruhiger und gewinnt an Tiefe. Ich spüre Verspannungen und versuche mit aller Behutsamkeit, sie zu lösen.
Ihre körperlichen Reaktionen bleiben positiv. Nach einer Weile schließt sie sogar die Augen, und ihre Hände, die zu Fäusten geballt waren, entspannen sich sichtbar. Kristin, die ihren Blick nicht einmal für einen Moment von ihrer Tochter genommen hat, entgeht diese Reaktion nicht. Ich höre ihr: »Oh, Gott!«, und weiß, dass sie Tränen
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