Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
Vom Netzwerk:
ergibt und mitten auf der Straße zum Stehen kommt.
    »Was ...?« Verunsichert runzelt sie die Stirn.
    »Komm schon«, rufe ich und schmeiße die Fahrertür hinter mir zu.
    »Matt, wir haben doch keine Zeit«, höre ich Amys gedämpften Protest aus dem Wagen, doch als ich ihre Tür öffne, reicht sie mir die Hand und lässt sich aus dem Auto helfen. »Was hast du denn vor?«
    »Schließ deine Augen!«, fordere ich sie auf. »Ich führe dich, vertrau mir.« Das tut sie. Langsam geleite ich sie an den Straßenrand – dorthin, wo der Schnee tiefer und lockerer wird. Nebeneinander stapfen wir durch das unberührte Weiß. Bis weit über die Knöchel versinken unsere Füße im Schnee.
    »Hör mal, was für ein Geräusch unsere Schuhe machen«, flüstere ich ihr zu.
    Amy lächelt. »Es knarrt. ... Und wie klar die Luft riecht«, fügt sie hinzu.
    »Ja. Oft ist es so kalt hier draußen, dass einem die Zähne weh tun, wenn man zu lange lächelt«, berichte ich mit einem Grinsen und achte darauf, meinen Mund möglichst schnell wieder zu schließen. Amy hat sich von mir auf eine der Weiden führen lassen, die direkt an die Landstraße angrenzen.
    »Augen auf«, befehle ich. Sofort öffnet sie ihre Augen und sieht mich an. »Und jetzt los!«
    »Was?«
    Ich beuge mich zu ihr vor und flüstere: »Schneeengel!«
    Noch ehe ich das Wort ausgesprochen habe, liegt Amy rücklings vor mir im Schnee und lässt ihre ausgestreckten Arme und Beine in fliegenden Bewegungen die Konturen eines Engels in den Schnee ziehen.
    Ohne nachzudenken, tue ich es ihr gleich.
    Danach stehen wir vorsichtig auf, klopfen uns ab und betrachten unsere Kunstwerke.
    »Meiner sieht aus wie eine Mini-Ausgabe von deinem«, stellt Amy amüsiert fest. »Ich kann nicht fassen, wie riesig du geworden bist.« Frech sieht sie mich an. »Wie ist eigentlich die Luft da oben?«
    »Stinkt nach Zwergen«, erwidere ich grinsend.
    Wow, war das etwa ein Anflug von Schlagfertigkeit? Amy lacht laut auf und knufft mich in die Seite.
    »Und, weißt du jetzt, wie der Schnee wirklich ist?«
    Sie nickt mit strahlenden Augen, doch dann verzieht sich ihr Mund. »Nass.«
    Mist! Dass wir Jeans tragen, habe ich in meinem Anfall von Spontaneität total vergessen.
    Amy schaut wieder zu mir auf. Sie grinst. »Trotzdem danke! Das war wirklich sehr, sehr süß von dir!«
    Plötzlich stellt sie sich auf die Zehenspitzen und haucht mir einen Kuss auf die Wange. »Hey, mein Atem raucht«, ruft sie nur eine Sekunde später fröhlich und bringt mich damit erneut zum Lachen.
    Als wir wieder im Auto sitzen, beginnt das große Frieren. Amy reibt sich die Hände. Sie sind knallrot. »Uh! Noch etwas, das ich nicht wusste: Dass einem die Finger von der Kälte so weh tun können.«
    »Wir sind gleich da«, beruhige ich sie und biege in die Hauptstraße der kleinen Stadt ein, an deren Ende unsere Praxis liegt.
    »Oh, es ist das große gelbe Haus da hinten, nicht wahr? Ich erkenne es«, ruft Amy fröhlich aus.
    Es wird mich Zeit kosten zu begreifen, wie viel sie wirklich weiß.
    Mit dem Fahrstuhl fahren wir in den dritten Stock, und Amy freut sich wie ein kleines Kind. Mir wird bewusst, dass auch diese simple Handlung – die Benutzung eines Liftes – eine weitere Premiere in ihrem Leben darstellt. Sie umfasst meinen Arm und sieht mich mit großen Augen an, als sich die Türen hinter uns schließen und die Kabine mit einem Ruck in Bewegung kommt. Ich sehe sie an und versuche, meine gesamte Entschlossenheit in diesen Blick zu legen.
    »Amy! Egal, was heute passiert – ich bin bei dir, okay? Ich meine, in der Praxis kann es hektisch werden. Wenn es dir zu viel wird, dann lass es mich wissen. Versprichst du mir das?«
    Sie nickt noch, als sich die Türen öffnen.
    Willkommen zurück im Chaos!, tönt es uns sofort entgegen. Unausgesprochen natürlich – ein Blick allein reicht. John hat nicht übertrieben. Der komplette Flur ist von wartenden Patienten besetzt. Ein erleichtertes Raunen schallt durch den kahlen Gang, als ich den Lift verlasse. Alles zwischen »Gott sei Dank«, »Endlich« und »Das wurde aber auch Zeit« ist an Äußerungen dabei.
    Ein älterer Mann, der starke Schmerzen zu haben scheint, jammert leise vor sich hin. Mrs Jordan steht am Fenster, das Handy ans Ohr gepresst. Wild gestikulierend keift sie die üblichen Nettigkeiten in den Apparat. Es ist alles beim Alten – zumindest für mich.
    Amy steht noch immer mit großen Augen in der Tür des Fahrstuhls. Ich reiche ihr die Hand und ziehe

Weitere Kostenlose Bücher