Deiner Seele Grab: Kommissar Dühnforts sechster Fall (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi) (German Edition)
fassungslos, als glaubte er unversehens in die Rolle des Josef K. aus Kafkas Prozess geraten zu sein.
»Laden Sie Ihre Freundin zum Essen ein oder stoßen Sie mit Champagner an. Ja, Sie können gehen.«
»Mit Champagner?« Lenz lachte. »Super Idee.«
»Ihre finanziellen Sorgen sind Sie jetzt doch los.«
Ein überraschtes Lächeln erschien, als sei ihm das eben erst klargeworden. »Stimmt. Dann stoßen wir auf die Kompetenz der Kripo an. Gut gemacht.«
Dühnfort hätte ihm eine reinhauen können. An dem Geld, das Lenz aller Sorgen enthob, klebte Blut. Als sich die Tür hinter ihm schloss, wählte er die Nummer von Maike Fischer.
»Tag, Herr Dühnfort«, begrüßte sie ihn. »Haben Sie Anjela gefunden?«
»Noch nicht. Ich muss mit Oana Ciobanu sprechen. Wo ist sie mit ihren Mitbewohnerinnen untergebracht?«
»Das ist jetzt Pech. Wir haben sie am Freitag abgeschoben.« Es lag kein Bedauern in ihrer Stimme, eher Genugtuung. Wieder ein paar weniger.
»Wir hatten eine Vereinbarung. Schon vergessen? Sie sollte uns als Zeugin zur Verfügung stehen.«
»Tut mir leid. Mein Boss hat anders entschieden. Sie hatten doch ausreichend Zeit, sie zu vernehmen.«
Merde! »Es sind aber noch Fragen aufgetaucht. Haben Sie eine Adresse von ihr in Moldawien?«
»Die ihres Exmannes. Ich maile sie Ihnen.«
Na, danke. Zu Exmännern pflegte man nicht unbedingt zurückzukehren.
Die Reisetasche ließ ihm keine Ruhe. Fertig gepackt hatte sie im Schrank gestanden, von einer Decke beinahe verborgen. Gut möglich, dass sich darin Anjelas Sachen befunden hatten. Ihr letzter Tag in Deutschland. Morgens hatte sie gepackt, war zu ihren Kunden gefahren, hatte geputzt und die Gelddepots geplündert. Zumindest bei Emily. Und ab nach Hause. Doch dummerweise hatte sie ihr Handy liegen lassen.
Er atmete durch. Vielleicht war sie in Moldawien, vielleicht würde man aber auch irgendwann ihre Leiche finden. »Danke.« Er legte auf, ging online und suchte den Blog Pflegmatisch. Der aktuellste Eintrag stammte nach wie vor vom neunzehnten Oktober und zeigte das Bild der toten Emily.
In der folgenden Stunde arbeitete Dühnfort sich durch die Beiträge. Erschütternde Berichte, aufrüttelnde Bilder, die zeigten, was er nicht für möglich gehalten hätte. Diesen Blog betrieb jemand, der einen ausgeprägten Willen hatte, sich an die Seite der Wehrlosen zu stellen und zu helfen. Wenn er dafür tatsächlich tötete, war er krank. Er war eher Pfleger als Arzt, eher Helfer als in leitender Position. Die meisten Fälle, die er beschrieb, bezogen sich auf Pflegeheime. Arbeitete er als Altenpfleger? Und wie passte seine Mission zur Empathielosigkeit eines Psychopathen?
Dühnfort schob den Stuhl zurück und stand auf. Was er brauchte, war Ruhe zum Nachdenken. Er zog den Mantel an und verließ das Präsidium.
Wolken ballten sich über der Stadt, dicke graue Kissen. Der Wind zog beißend kalt durch die Löwengrube und wirbelte die längst vertrockneten Blätter der Kastanien auf. Alles war trostlos grau. Der Himmel, die Straßen, die Häuser, die meisten Menschen. Nur ab und zu ein bunter Farbklecks, ein fröhliches Gesicht.
Henry Dunant. Der Mann aus Samaria. War der Samariter einfach nur durchgeknallt? Ein Mensch, der wirklich glaubte, seinen Opfern etwas Gutes zu tun, und dem jedes Mittel recht war, dieses Ziel zu erreichen? Hatten sie sich bisher die falschen Fragen gestellt? Was, wenn der Samariter nur ein Wichtigtuer war, der die Gunst der Stunde nutzte, um auf sein Anliegen aufmerksam zu machen? Wenn er gar nicht der war, den sie suchten? Blödsinn. Natürlich war er es. Schließlich hatte er Emilys Leiche fotografiert, und seine DNA hatten sie an allen drei Tatorten gefunden.
Er erreichte die Feldherrnhalle, überquerte den Odeonsplatz und betrat durch einen Torbogen den Hofgarten. Der Verkehrslärm verebbte Schritt für Schritt. Ein paar Tauben tippelten über den gekiesten Weg. Vor ihm erstreckte sich der in strenger Geometrie errichtete Renaissancegarten. Die Bäume, die ihn einfassten, reckten ihre kahlen Äste in den Himmel. An den Hainbuchenhecken entlang der Wege hing verschrumpeltes braunes Laub. Dühnfort ging auf den Arkadengang zu, der sich nördlich von ihm befand. Kies knirschte unter seinen Schritten. Der Wind fuhr ihm kalt unter den Mantel. Von den Boule-Spielern, die bei schönem Wetter hier anzutreffen waren, fehlte heute jede Spur. Die Kuppel des Diana-Tempels, der das Zentrum des Gartens bildete, leuchtete grün vor dem trüben
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