Deiner Seele Grab: Kommissar Dühnforts sechster Fall (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi) (German Edition)
sie los, dabei blickte sie ständig in den Rückspiegel. Immer wieder bog sie in Seitenstraßen ab, bis sie schließlich sicher war, dass er ihr nicht folgte. Vor einem Drogeriemarkt hielt sie erschöpft an. Was sollte sie tun?
Anne hatte ihr geholfen, und nun klaute sie ihr den Wagen. Es ging nicht anders. Sie konnte nicht zurück. Ihre Retterin würde die Polizei rufen. Man würde sie abschieben. Doch sie hatte hier noch etwas zu erledigen. Sergej, der Hund. Vor einem halben Jahr war sie ihm entkommen. Es war ihr gelungen, aus dieser Wohnung in Frankfurt zu fliehen, in der er sie und die anderen mehr oder weniger gefangen hielt. Keinen unbewachten Schritt durften sie tun. Sie waren sein Eigentum. Seine Leute suchten sicher noch immer nach ihr.
Die Anspannung ließ nach. Sie fror erbärmlich und kotzte beinahe vom Gestank, der aus den Klamotten stieg. Sie musste in die Wohnung, um ihre Sachen zu holen. Anjela hatte keine Ahnung, wo sie war. Diesen Teil von München kannte sie nicht. Doch sie wusste, wie man ein Navi bediente. Oft genug hatte sie Sergej dabei beobachtet. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie ihr Ziel schließlich eingegeben hatte und losfuhr, immer darauf bedacht, nicht aufzufallen. Nach zwanzig Minuten Fahrt erreichte sie das Viertel am Harthof.
Als sie in ihre Straße einbiegen wollte, bemerkte sie den Streifenwagen, der in der Nähe des Hauses stand. Rahat! Sie hatte es ja gewusst, dass Borchert die Bullen rufen würde. Doch woher wussten die, wo sie suchen mussten? Keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie fuhr geradeaus weiter und parkte Annes Wagen den Vorschriften entsprechend in einer Parkbucht und legte auch noch die Parkscheibe hinter die Windschutzscheibe. Nur nicht auffallen.
Es war kurz vor Mittag. Die Kinder waren noch in den Schulen, die Eltern bei der Arbeit und die Alten beim Kochen. Kaum jemand war unterwegs. Durch die Grünanlage näherte sie sich von hinten dem Häuserblock. Bröselnde Betonstufen führten hinunter zu einer Tür. Anjela zog den Schlüsselbund aus der Jeans und betrat das Haus durch den Keller. An den Lattenverschlägen und der Waschküche vorbei ging sie zum Treppenhaus. Von irgendwoher zog der Geruch nach Gulasch.
Anjela stieg die Treppe hoch und sperrte die Wohnungstür auf. Stille empfing sie. Ihre Mitbewohnerinnen waren bei der Arbeit. Das Bett in ihrem Zimmer war bezogen. Hatte die Popescu, dieser gierige Drachen, es also schon neu vergeben. Anjela öffnete den Schrank und wollte ihre Reisetasche herausnehmen, doch sie war weg. Ungläubig starrte sie auf fremde Sachen. Rahat! Scheiße! Was war hier los? Sie riss die anderen Schranktüren auf. Auch hier war ihre Tasche nicht. Sie durchsuchte das Zimmer, die ganze Wohnung, wühlte mit anschwellendem Zorn in Schränken und Kommoden, suchte unter Betten und Matratzen und fand nichts. Alles war weg. Der Rest ihres Geldes, ihre Klamotten. Man hatte sie beklaut. Restlos beklaut! Sie sank auf einen Küchenstuhl. Alles, was sie noch besaß, waren die stinkenden Sachen, die sie trug, und ein Auto, das ihr nicht gehörte. Sie schluckte den Klumpen in ihrem Hals hinunter und auch die Wut. Wut ist kein guter Ratgeber, sagte ihre Mama immer.
Sie brauchte einen Plan, vorher aber etwas zu essen. Ihr Magen knurrte. Aus dem Kühlschrank nahm sie Brot und Wurst. Nachdem sie sich gestärkt hatte, wickelte sie eine halbe Rolle Frischhaltefolie um den Brustpanzer aus Verbänden, ging unter die Dusche und wusch den Gestank ab. Nur die Haare konnte sie nicht waschen. Sie traute sich nicht, den Verband abzunehmen.
Aug um Aug. Zahn um Zahn. Man hatte sie beklaut, also beklaute sie jetzt die anderen. Das war nur gerecht. Sie suchte Unterwäsche, Jeans, Shirts und einen Pulli zusammen, fand Geld in einer Matratze und in einer Plastiktüte mit Schmutzwäsche. Knapp fünfhundert Euro. Sie steckte die Scheine ein. Nur Schuhe in ihrer Größe fand sie nicht. Die alten mussten vorerst genügen.
Mit einem Becher Instantkaffee setzte sie sich an den Küchentisch. Was sollte sie tun? In München konnte sie nicht bleiben. Die Polizei suchte nach ihr und dieser Mann auch. Sie musste also ihre Zelte hier abbrechen. Zurück nach Hause? Erst, wenn sie mit Sergej quitt war. Fünfhundert Euro reichten nicht. Alexej verlangte dreitausend. Sollte sie wieder putzen gehen, um das Geld für Sergejs Ableben ein zweites Mal zusammenzubekommen? Doch dafür war sie nicht fit genug. Bei jedem Atemzug taten die Rippen weh, und bei jeder zu
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