Deiner Seele Grab: Kommissar Dühnforts sechster Fall (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi) (German Edition)
überrascht. Weshalb hatte er den Rechner nicht ausgeschaltet? Keine Zeit? War er etwa Hals über Kopf geflüchtet? Oder war es nicht nötig gewesen, weil er alle Daten gelöscht hatte?
Was machte Kirsten so lange? Während Meo sich mit dem Computer beschäftigte, ging Dühnfort ins Schlafzimmer. Auch hier waren die Wände schwarz. Alujalousien anstelle von Vorhängen. Alle Lampen brannten. Vermutlich immer. Dieses schwarze Loch konnte Tageslicht allein nicht erhellen. Kirsten stand vor dem Bett, auf dem eine Ledermappe lag, wie Künstler und Graphiker sie verwendeten. Sie enthielt ein Ringbuch mit Präsentationshüllen. Darin blätterte sie. »Das solltest du dir ansehen.«
Wieder Fotografien. Tod und Leid schienen die beherrschenden Themen in Friebes Leben zu sein. Dühnfort kam nicht umhin, die Begabung zu bewundern, das Schöne im Schrecklichen nicht nur zu erkennen, sondern auch festhalten zu können. Das Zerbrechliche im Brutalen, das Erlösende im Ende. Wenn man sich auf diese Bilder einließ, besaßen sie die Kraft, Neugier zu wecken und die Bereitschaft, sich auf Fragen einzulassen, vielleicht sogar, sich mit dem Tod zu versöhnen. Die Fotografien in dieser Mappe zeigten allerdings keine Tiere, sondern Menschen.
Ein Mann, offensichtlich Opfer eines Verkehrsunfalls. Im Hintergrund ein demolierter Wagen an einem Baum. Der Leichnam lag davor in einer Wiese. Der Wind beugte Grashalme über ihn, beinahe beschützend. Ein Schmetterling am rechten Bildrand strebte himmelwärts. Die Seelen der Toten. So nannte man sie. Dühnfort blätterte um. Die Aufnahme einer alten Frau. Das graue Haar auf dem Kissen aufgefächert. Erstaunen lag in ihrem Gesicht, als habe sie mit dem letzten Atemzug etwas unerwartet Schönes erblickt. Das Bild eines alten Mannes, das tiefen Frieden ausstrahlte.
Ein Tableau, ein altmeisterliches Gemälde, das hatte er gedacht, als er Emily in ihrem Totenzimmer sah. Eine feierliche und würdevolle Inszenierung. Genau wie hier.
»Ganz schön morbid.«
Dühnfort tauchte aus diesen Bildern auf und schlug das Album zu. »Der Tod ist sein Thema. Er hat das Bild von Emily gemacht. Es ist sein Stil. Seine Bildauffassung.«
Er brauchte eine Sekunde, um sich zu fangen, und stellte sich ans Fenster. Durch die Ritzen der Jalousie sah er den Verkehr unten auf der Lindwurmstraße vorbeiziehen. Schneeflocken taumelten aus dem Grau, das sich seit Tagen über der Stadt hielt. Die Kälte kam früh in diesem Jahr.
Es gab einen Unterschied. Das Bild von Emily war inszeniert worden, die der anderen Toten nicht. Jedenfalls nicht derart, dass das sichtbar geworden wäre.
Alois kam herein. »Wir haben es. Das Bild von Emily ist auf Friebes Computer.«
»Gut. Dann geben wir jetzt die Fahndung nach ihm raus.« Dühnfort folgte Alois ins Wohnzimmer. Auf dem Monitor war das Foto zu sehen, das inzwischen ganz München kannte.
Leyenfels nickte. Dühnfort musste gar nicht erst fragen. »Den Beschluss für die Handyortung bekommst du sofort.«
Das Handy in der Sakkotasche begann zu summen. Dühnfort nahm es heraus. Berentz meldete sich. »Hallo Tino. Ich habe etwas, das dich interessieren wird. Einen Anruf aus dem Klinikum Großhadern. So wie es aussieht, ist Anjela aufgetaucht.«
62
Der Lift fuhr nach unten. Anjela betrachtete ihr Spiegelbild. Im Vergleich zu ihr bot eine auf der Müllhalde lebende Pennerin einen passablen Anblick. Mit dem Kopfverband und dreckigen, zerknüllten und stinkenden Klamotten würde sie nicht weit kommen. Irgendwer rief sicher die Polizei. Sie schloss die Augen und lehnte sich an die Wand, um Übelkeit und Schwindel Herr zu werden. Vielleicht gelang ihr das Unmögliche ja doch. Vielleicht war die Gleichgültigkeit der Menschen in diesem gelobten Land ausgeprägt genug, sie in Ruhe ziehen zu lassen.
In der vierten Etage hielt der Aufzug. Die Türen öffneten sich. Eine Putzfrau wollte einsteigen und zuckte zurück, als sie Anjela sah. Ein misstrauischer und angeekelter Blick, dann gab sie sich einen Ruck, schob ihren Wagen mit den Putzutensilien herein und wandte sich demonstrativ ab. Mit dieser Pennerin wollte sie nichts zu tun haben. Ein buntes Tuch hing neben der Halterung für den Schrubber. Anjela zog es vorsichtig herunter und ließ es unter dem Shirt verschwinden. Im ersten Stockwerk öffneten sich die Türen. Die Putzfrau stieg aus. Hastig knotete Anjela das Tuch um den Kopf. Das sah gleich besser aus.
Endlich erreichte der Aufzug das Erdgeschoss. Ein langer Korridor tat sich
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