Delfinarium: Roman (German Edition)
fühlt sich dafür verantwortlich. Nichts macht mir Spaß, mit dem man annähernd einen Lebensunterhalt verdienen kann. Spazieren gehen? Menschen beobachten? Ich habe genug damit zu tun, überhaupt da zu sein und ein Auge auf meinen Vater zu haben. Berufe scheinen mir austauschbar, einer so blöd wie der andere. Und keiner erstrebenswert. Das kommt mir bloß schon wieder vor wie Kindergartenfasching, wo man sich überlegen muss, ob man als Cowboy, Polizist oder Klempner gehen will. Und ich bin zu solchen Gelegenheiten immer als Clown oder Marienkäfer gegangen, nichts, woraus man einen anständigen Beruf machen kann. Ich habe keinen Nerv für solche Spiele.
Rente kann ich mir schon wieder vorstellen: Mit einer Strickjacke bekleidet im Sessel sitzen, ab und zu aufstehen und am Fenster, den Blättern beim Fallen zuschauen, kleine Spaziergänge durch die Nachbarschaft, Vogelgift auslegen.
Ich habe allerdings den Eindruck, dass ich Henry das schlecht auseinandersetzen kann, dass es ihn überfordern würde oder dass es abgehoben klingt. Also gehe ich zum Gegenangriff über.
»Und du, wovon lebst du eigentlich?«
Denn ihn habe ich auch bloß immer im Sessel mit der Bierdose angetroffen.
»Ich bin Koch«, sagt er. »Ich habe Koch gelernt. Meister. Ich hatte sogar ein eigenes Restaurant drüben in Övelgönne.«
»Oh«, sage ich anerkennend. »Und jetzt?«
»Jetzt arbeite ich in der Kantine bei Airbus. Na ja. Immerhin. Es hat schon etwas mit Verantwortung zu tun. Aber momentan bin ich beurlaubt wegen der Geschichte.«
Er schaut in den Garten und ich beschließe, dass die Runde an mich geht, denn schließlich bin ich jung, ich habe noch alle Möglichkeiten. Und er sieht momentan wirklich nicht aus wie ein rundum zufriedener Mann.
»Spannend«, sage ich, »Airbus.«
»Ja«, sagt er, »irgendwie schon.«
Als ich nach Hause komme, finde ich meinen Vater im Sessel, den Kopf auf die Brust gesunken. Er weint, das kann ich von der Wohnzimmertür aus erkennen. Ich knie mich vor ihn hin und frage: »Was ist los, Papa?«
Er schaut mich aus verkniffenen Augen an. Er sieht hässlich aus, wie eine Muräne mit Lichtallergie. Er sagt leise: »Die Küche.« Ich seufze und gehe in die Küche, um nachzuschauen. Die Küche ist ohnehin mein Revier, in dem er nichts zu suchen hat. Morgens schenkt er sich ein Glas Wasser ein, manchmal trägt er etwas Geschirr aus dem Esszimmer zur Spüle. Mein Vater, das Leben hat ihn mit wundervollen Gaben gesegnet, Geschicklichkeit in praktischen Dingen gehört nicht dazu. Gegen ihn komme ich mir vor wie der König der Handwerker. Die Wirklichkeit, die materielle Seite der Dinge, hat ihm den Krieg erklärt, ich weiß nicht, was er ihr getan hat.
Die Tür des Hängeschranks liegt auf den Fliesen. Der Hängeschrank steht türlos offen und gibt den Blick auf Gläser und Becher frei. Ich hole mir einen Schraubenzieher aus dem Werkzeugkasten in der Abseite.
»Papa?«, frage ich. Er hat aufgehört zu weinen.
»Ich wollte mir nur ein Glas nehmen. Dann hatte ich plötzlich die ganze Tür in der Hand. Ich hatte nur ein Glas nehmen wollen, ich habe es gar nicht grob angefasst, wirklich. Dann habe ich versucht, die Tür zu reparieren, aber ich habe es nicht verstanden. Es ging nicht. Ich habe den Mechanismus nicht verstanden. Ich wollte damit fertig sein, bevor du zu Hause wärst.«
Er fängt wieder an zu weinen, ganz leise, man hört nichts, nur sein Kopf zuckt, und ich streiche ihm über die spärlichen Haare. Ich liebe ihn sehr in diesem Moment.
»Ich bin zu nichts zu gebrauchen«, sagt er, und dann schluchzt er richtig los. »Ich kann nichts, nichts, ich bin bloß eine Belastung, ich bin gar kein richtiger Vater.«
»Schhh«, mache ich und streichle ihn leise. »Es ist nicht schlimm«, sage ich, »die Tür ist schon wieder so gut wie drinnen.« Aber das lässt ihn nur noch mehr weinen. Ich sitze da und schaue ihm zu, wie er weint. Er ist so sehr mit sich beschäftigt. Nach einer Weile ebbt der Sturm ab, er wird still, sinkt auf den Grund seines inneren Meeres oder was weiß ich. Ich seufze, stehe auf, die Knie knacken. Verspätete Wachstumsschmerzen. Dann gehe ich zurück in die Küche, um den Schrank zu reparieren.
5. Crazy Döner
Direkt vor dem Eingang spricht er mich an, mitten in der Menge, die in die Kirche drängt. »Moment bitte«, sagt er.
Ich kenne ihn, denke ich, den habe ich schon mal irgendwo gesehen, die weißen Haare, der braune Anzug.
»Ja?«, frage ich und blicke in irgendwie
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