Delfinarium: Roman (German Edition)
an, dass es mit ihrem Vater zu tun hat, der groß und beeindruckend im Hintergrund lehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Das hier ist sein Reich, sein Revier. Petra hat mir einmal erzählt, dass sie sich als kleines Mädchen den lieben Gott mit den Gesichtszügen ihres Vaters vorgestellt hat. Gott trug einen orangen Frotteepyjama, wie ihn ihr Vater besaß. Vielleicht hemmt er sie, denke ich, vielleicht darf sie in seinem Reich nicht so, wie sie gerne will. Petra ist sonst mehr der Typ Wortführerin, in der Schule musste man sie regelrecht an die Leine nehmen, damit sie den Lehrern gegenüber nicht unverschämt wurde. Komisch, wenn ich ihren Vater ohne seinen Umhang sehe, kommt er mir auch immer verkleidet vor, als wäre seine Dienstkleidung sein eigentliches Element. Er trägt Jeans und Pullover, und unter dem Pullover ein hellblaues Hemd, aber das ist irgendwie nicht richtig, finde ich. Bei Susann irritiert mich die Stewardessennummer, sie kommt mir verkleidet vor, aber auf die Pastorennummer falle ich jedes Mal gerne rein.
Ich wende den Kopf und sehe eine Frau den Finger heben – ich melde einen Redebeitrag an – die wie eine Vogelscheuche im Maisfeld nach dem Sturm aussieht, dürr und zerzaust.
»Bedenkt mal«, sagt die Frau. »Es ist viel Geld, mehr Geld, als die Grundstücke wert sind. Es geht um eine Gesamtsumme von 20 Millionen Euro, aufgeteilt auf die Grundstücksbesitzer. Das habe ich gehört. Und es gibt ja auch noch mal Geld für das Dorf extra, für uns alle. Denkt doch auch mal an die zusätzlichen drei Millionen allein für das Dorf, und was wir damit machen könnten, das wisst ihr doch selbst. Und die Landebahn ist ja auch gar nicht so arg dicht dran am Dorf, und laut sind die Flugzeuge eh schon.«
Sie macht eine Pause, als müsse sie sich besinnen. Ihr Gesicht nimmt einen vertrockneten Ausdruck an.
»Denkt an das Geld«, schiebt sie noch hinterher, bevor sie sich setzt.
Jetzt endlich ist Petra nicht mehr zu halten, darauf habe ich gewartet. Sie steht auf, geht aber nicht auf das Podium. Petra ist ein Stimmphänomen. Sie ist nicht besonders groß oder so, aber manchmal ist es, als habe sie in ihrer Brust einen eingebauten Verstärker, man kann sie drei Meilen gegen den Wind hören. Auf Kreuzfahrtschiffen vor Somalia könnte man sie als hypermoderne Lärmwaffe zum Schutz vor Piraten einsetzen, so eine Stimme ist das. Es fehlt nur noch, dass sie auf den Stuhl steigt.
»Erstens«, sagt sie und sieht dabei sehr, sehr ernst und eindringlich aus, »ist die Landebahnverlängerung nur der Anfang, das hat sich der Konzern vom Senat schriftlich zusichern lassen. Wenn wir jetzt einen Schritt zurückweichen, können wir denen gleich das ganze Dorf überlassen oder die Häuser selbst abreißen. Die sind sich doch einig. Die Stadt will seit den siebziger Jahren unser Dorf als Industrieerweiterungsfläche, die wollen hier alles, da gibt es kein Halten. Dann geht es uns wie denen in Altenwerder, da steht heute nur noch die Kirche, na, guten Abend. Und Airbus will am liebsten die längste Landebahn der Welt besitzen, komplett mit Eintrag im Guinness-Buch-der-Rekorde, völlig sinnfrei, denen geht es um die Kredite des Landes und der Stadt, unsere Belange sind denen vollkommen egal, unser Dorf soll schöner werden, haha. Zweitens sind die Flugzeuge über dem Dorf nicht nur laut, das wisst ihr selber, sondern sie verpesten die Luft mit Kerosin, das die Ernte massiv schädigt, wie hier einige wissen sollten, die etwas von Obst verstehen, wenn ich mich nicht irre. Außerdem schädigen die Tiefflüge die Bausubstanz zum Beispiel der Kirche, Mann!, die ist denkmalgeschützt, ich kenne mich da zufällig ein bisschen aus.«
Sie und ihr Vater wechseln einen Blick, und die Leute, die ihr wohlgesonnen sind, lächeln.
»Jetzt schon ziehen hier Familien mit kleinen Kindern weg, und bald wird gar keiner mehr hierher ziehen wollen, wenn wir eine verlängerte Startbahn sind und es hier alle zehn Minuten vibriert wie ein Dorf gewordener Dildo.«
Ich schaue Petras Vater an, der aber mustert interessiert die Fingerspitzen seiner linken Hand.
»Drittens geht es ihnen doch genau darum: Sie wollen uns mürbe machen mit ihrer Geldtaktik, sie wollen unsere Front aufweichen, sie wollen uns gegeneinander aufhetzen, sie wollen Neid und Missgunst säen und Unfrieden ernten. Sie wollen, dass wir uns untereinander streiten und dann keine Kraft zum Kampf gegen sie mehr haben. Und du, Ulrike, solltest das wissen«, Petra fixiert die
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