Delfinarium: Roman (German Edition)
Rücken zur Tür, die Stehlampe legt ein Ei aus Licht um ihn herum, irgendeine Verdi-Oper läuft, Rigoletto oder eine ähnliche Werbemelodie, aber ich weiß sicher, dass er eingeschlafen ist. Das sehe ich an der Kopfhaltung. Wir brauchen also nicht zu schleichen.
Oben in meinem Zimmer schäle ich Petra aus ihrer Kleidung. Sie versucht, mich ebenfalls von meiner Kleidung zu befreien, aber ich bleibe wie ich bin und betrachte sie im Licht, das trübe vor sich hin flackert. Ich habe eine Kerze angezündet, das mache ich sonst nie.
Petras Körper ist eigentlich schön, sie ist schlank und sportlich, meine ich, sie hat feste Brüste, die weder zu groß noch zu klein sind, an ihrem Körper ist eigentlich nichts auszusetzen. Und trotzdem löst er in mir wenig aus. Petra löst in mir etwas aus, Gedanken, Gefühle und so weiter, aber nicht ihr Körper. Ich sehe ihn an, wie man vor einem Bild im Museum steht, und er gefällt mir, aber es ist nicht so, dass mich sofort die Leidenschaft übermannt, dass alles von alleine geht und steht, sobald sie ihr Trägerhemd über den Kopf streift. Petra hat schmale Hüften und schmale Schultern. Sie hat sehr kleine Füße, Füße, auf die am besten das Adjektiv akkurat passt. Sie hat akkurate, appetitliche, hübsche Füße.
Wir schlafen miteinander. Es ist angenehm und schön, ich weiß mittlerweile, was ich zu tun habe, damit sie Geräusche macht und damit ich komme. Geräusche machen gehört zu gutem Sex, habe ich gelernt. Je mehr und je lauter die Geräusche, umso besser der Sex.
Dann liegen wir da, sie in meinem Arm, und ich denke, dass der Sex mit ihr okay ist. Nicht, dass ich wirklich einen Vergleich habe und sagen könnte, ich wüsste, wovon ich spreche. Okay und ein bisschen langweilig. Wir liegen in den Laken und schwitzen, sie spielt mit meinen Haaren, es ist schön, von ihr gestreichelt zu werden, aber ich weiß, dass es mir irgendwann nicht mehr reichen wird. Dass ich mich wieder werde verlieben wollen, wie ich in der vierten Klasse verliebt gewesen bin, als ich jeden Nachmittag verzweifelt in der
Hecke vor dem Haus von Tanja Gernhardt zugebracht habe, in der Hoffnung, meine absolute Hingabe werde ihr störrisches Herz doch noch erweichen. Wenn ich mich eines Tages erneut so verliebe, wird es bitter sein für Petra und mich.
Und außerdem schäme ich mich, dass mir die Bilder einer anderen Frau zwischen die von Petra gerutscht sind, einer wesentlich älteren Frau mit blonden Haaren, eben gerade.
Sie wickelt eine Strähne meines Haares um ihren Finger und zieht daran.
Sie sagt: »Ich bin neulich in der Stadt an einem Friseurladen vorbeigekommen, der Komm-hair hieß. Das ist das Bescheuertste, was ich in der Richtung je gesehen habe.«
»Häh«, mache ich. Den Sprung habe ich nicht mitbekommen. »Was hast du?«
»Friseurladen. Gesehen. Komm-hair , hair, englisch für Haar, schon mal gehört?«
»Und Com so internetmäßig oder wie?«
»Nee, bist du blöd? Na, komm wie ›Komm her!‹, als Aufforderung, verstehst du?«
»Oh nee, ist das doof«, sage ich, aber dann muss ich doch kichern.
»Kamm in«, sage ich.
»Open Hair«, sagt Petra.
Wir kichern eine Weile vor uns hin.
»In St. Pauli gibt es einen Döner-Laden, der Crazy Döner heißt«, sagt sie.
»Na und?«, frage ich.
»Ich finde das witzig, ich finde das sogar hochgradig originell. Crazy Döner, findest du das nicht witzig? Als wäre das die heißeste, angesagteste Dönerdisco.«
»Geht so«, sage ich.
Wir schweigen, ich streichle über ihr Haar. Es fühlt sich ganz glatt und geschmeidig an, wie aus einem außerirdischen Superkunststoff gefertigt.
»Willst du hier übernachten, heute?«, frage ich.
»Mal sehen«, sagt sie und kuschelt sich in meinen Arm. Ich halte sie und lächle ins Zimmer. Ich fühle mich geborgen und komme mir gleichzeitig wie ein Beschützer vor, groß und stark und väterlich und erwachsen. Selbstzufrieden lächle ich vor mich hin, aber dann fällt mir auf, dass irgendetwas an dieser Geste, an meiner Haltung nicht stimmt, dass sie verlogen ist, und das Lächeln vergeht mir.
6. Zwei Frauen
Das nächste Mal bin ich befangen. Ich sitze neben Susann im Auto und wage nicht, auf ihren Rock zu sehen, wie der Stoff auf ihren Schenkeln zu liegen kommt, oder wie ihre Füße in den Sandalen stecken.
Ich schaue zu ihr hinüber und sehe nichts als ihren Mund, übergroß. Nicht das blasse Gesicht drumherum, nicht die Scheibe des Wagens, an der Regentropfen herunterperlen, nicht die Fassaden
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