Delfinarium: Roman (German Edition)
dargestellt.« Ich nehme einen Schluck aus meiner Dose.
»Es geht hier doch um die Arbeitsplätze«, sagt er. »Wenn das Werk nicht ausgebaut wird, haben wir im globalen Wettbewerb keine Chance. Dann geht die gesamte Produktion nach Frankreich, die stellen sich nicht so an mit ihren Fischen!«
Vor dem Fenster hängen bis zur halben Höhe weiße Rüschengardinen, daneben ein gestickter Sinnspruch an der Wand: Der treuste Führer in der Not, das ist und bleibt der liebe Gott.
Ich stelle mir Henry mit Nadel in der Hand vor, die Brille auf der Nasenspitze, auf seine Stickarbeit herabäugend, sein heimliches Hobby.
»Wenn ich es richtig mitbekomme«, sage ich, »geht es da nicht nur um die Umweltschützer, sondern auch um die Leute, die enteignet werden müssen, die Obstbauern, die ihre Grundstücke abtreten sollen, und um die Anwohner.«
Henry hackt Zwiebeln auf einem Brett klein und schaut dabei weder auf seine Finger noch auf das Messer. Er schaut mir in die Augen, obwohl er gerade Zwiebeln schneidet. Es ist die pure Angeberei, aber uns beiden gefällt es, es ist schon sehr beeindruckend.
»Ja, aber in welcher Welt leben die denn!? Man kann doch hier nicht nur Schafe auf den Deichen weiden lassen und sich an der Apfelblüte erfreuen! Ich habe keine Lust, meinen Arbeitsplatz zu verlieren, nur weil sich ein paar Hinterwäldler zwei Dörfer weiter nicht vom Anblick ihrer Obstbäume trennen können. Die werden doch anständig entschädigt!«
»Meines Wissens gibt es ein Recht auf Eigentum«, sage ich. »Denen gehören die Grundstücke nun mal. Was würdest du denn sagen, wenn jemand auf einmal dein Haus haben wollte und sagt, du musst weg?«
Henry grinst. »Ist nur gemietet!«
»Es gibt nun einmal ein durch die Verfassung verbrieftes Recht auf Eigentum«, sage ich. »Da kann doch sonst jeder kommen.«
»Und es gibt ja wohl auch das ... Gemeinwohl«, Henry greift zufrieden nach seiner Dose, »dem sich der Einzelne im Zweifelsfall unterordnen muss. Wir leben nun einmal in einer Demokratie und nicht jeder einzeln für sich. Man muss sich dem Gemeinwohl beugen. Steht auch im Grundgesetz, soweit ich weiß.«
»Wer sagt denn, dass es hier um das Gemeinwohl geht? Hier geht es doch in erster Linie um Konzerninteressen!«
Er hebt mahnend sein Zwiebelmesser.
»Arbeitsplätze sind nicht nur Konzerninteresse, die sind Gemeinwohl!«
»Die Arbeitsplätze, ja«, sage ich. Arbeitsplätze, Globalisierung, damit hört dann immer jede Debatte auf. Und Hitler hat die Autobahn gebaut. Ich weiß, was Petra sagen würde. Ich fühle mich eh schon wie ihre Bauchrednerpuppe.
»Gut, dass nicht wir die Sache entscheiden müssen«, sage ich in diplomatischem Ton, aber er funkelt mich an: »Ich würde mir das schon zutrauen!«
»Ja, du«, sage ich.
Er schneidet jetzt Speck in kleine Würfel, ebenso rasant.
Es macht schon Spaß, ihm beim Kochen zuzusehen, er ist sehr schnell, effizient, er räumt alles gleich zur Seite, hinterlässt nicht so ein Chaos wie ich. Überhaupt hat er die Ruhe weg. Mein Problem, wenn ich mal wirklich etwas koche, aus richtig frischen Zutaten, ist die Hektik, die sich einstellt. Ich werde fahrig, versuche, drei Dinge gleichzeitig zu machen. Er besitzt den Zauber der Ruhe, er ist wunderbar organisiert, ein gelassener Handgriff folgt dem nächsten, ihm steht kein Schweiß auf der Stirn. Ich sitze am Küchentisch und bewundere ihn, trinke Bier, werde betrunken.
»Aber eigentlich wollte ich mit dir über was ganz anderes sprechen«, sagt er.
»Ja«, sage ich.
»Ich wollte dir von meiner Reise erzählen.«
Während er die Füllung zusammenrührt, erzählt er, dass bei seiner Schwester, die in Karlsruhe lebt, Drogen gefunden wurden. Sie sitze jetzt in Untersuchungshaft. Seine kleine Schwester. Die Eltern seien bereits tot, und er will hinunterfahren, um auf seine Schwester aufzupassen. Ein paar Tage. Ich soll im Haus einziehen, weil er Susann nicht mitnehmen will. Er könne sich dort nicht um sie kümmern. Und alleine kann er sie auch nicht lassen.
»Was sagst du?«, fragt er.
»Äh«, sage ich. Ich habe das Gefühl, meine Schädeldecke leise knacken zu hören. In meinem Kopf formiert sich eine Eiszapfenschrift, von der Decke meines Schädels hängen schillernde Eisbuchstaben: Susann und ich, allein, in einem Haus.
»Ich weiß nicht«, sage ich.
»Du brauchst ja nichts zu machen, du bist bloß da und passt auf sie auf, okay?«
Ich habe ein flaues Gefühl im Bauch, mein Puls beschleunigt sich. Ich frage
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