Delfinarium: Roman (German Edition)
meiner Begleitung ist. Trotzdem gibt es keinen Zweifel, der schmale Rücken, die hohe Gestalt, die eingesunkenen Schultern. Die Haare. Sie steht still und schaut und ich kann mich auch nicht bewegen. Als hätte mich eine Hand aus Eis angefasst. Es ist ein Moment zum Festhalten, zum Hinter-Glas-Hängen, sie und ich im Supermarkt, im Skymarkt, nur wir beide. Ich werde sie niemals ansprechen, ich werde immer hinter ihr hergehen, wenn sie sich bewegt. Ich werde mich hinter den Regalen, den Auslagen, den Angeboten verstecken und ihr zusehen. Es ist Magie, es ist wie mit den Delfinen. Ich bin gelähmt und fühle mich gleichzeitig lebendig. Irgendetwas hat sich gelöst und fließt durch mich hindurch, was da normalerweise nicht fließt.
»Martin«, höre ich eine Stimme hinter mir.
Es dauert eine Weile, bis ich den Namen mit mir in Verbindung bringe. Es ist eine Männerstimme, und ich drehe mich um. Henry steht vor mir mit einer Packung Wischtücher in der Hand. Im Einkaufswagen befinden sich ein Topf Basilikum, mehrere Liter Milch, eine Packung Halbfettmargarine. Susann wendet uns den Kopf zu. Es ist das erste Mal, dass ich die beiden in freier Wildbahn antreffe.
»Das ist aber mal ein Zufall«, sagt Henry. Er lächelt und macht einen Schritt auf mich zu. »Susann, schau mal, wer hier ist.«
»Hallo«, sage ich, ich versuche zu lächeln. Ich lächle, aber es gelingt nicht richtig.
»Das passt aber gut«, sagt er. »Ich wollte eh mit dir sprechen. Komm mal kurz.«
Er nimmt mich am Arm und zieht mich ein paar Schritte von Susann weg, die uns ausdruckslos nachsieht.
»Komm doch mal so vorbei, privat. Ich meine, wenn du Zeit hast, wenn du sie nicht abholst und so. Ich koche etwas für uns und dann reden wir.«
»Ja«, sage ich, »gern. Wieso?«
»Mir sind Veränderungen aufgefallen. Mich interessiert, wie du es siehst.«
»Äh«, sage ich.
»Außerdem möchte ich dich um einen Gefallen bitten.«
Ich schaue die Zahnpastatuben hinter Henry an. Colgate für 99 Cent. Was will er von mir, privat? Ich fühle mich ertappt, ich fühle mich in die Enge getrieben.
»Was?«, frage ich.
»Wir müssen in Ruhe darüber reden«, sagt er, »ich weiß nicht, ob du es dir vorstellen kannst.«
»Was?«
Er sieht mich eine Weile lächelnd an.
»Du magst sie doch, oder? Ihr scheint euch doch ganz gut zu verstehen.«
»Wie?«, sage ich.
»Na, so weit man das sagen kann.«
Er legt mir seine Hand auf die Schulter.
»Komm vorbei, ja? Dann besprechen wir alles.«
»Ja«, sage ich und werde rot dabei.
Ich schaue zu Susann hinüber und dann Henry an, in mir ist es still. Ich sehe zwei Neonröhren in seinen Brillengläsern leuchten.
9. Offene Augen
Henry hat mich in die Küche gebeten, das ist immerhin mal etwas Neues. In der Küche haben wir uns noch nicht unterhalten. Wir sitzen am Küchentisch und er setzt mir seine Airbus-Theorie auseinander. Er hat gerade ausgeführt, dass er keine Lust habe, seinen Job zu verlieren, weil ein paar Spinner aus der Stadt glauben, irgendwelche Fische beschützen zu müssen. Beim Reden bereitet er das Essen vor, gerade schneidet er die Zutaten für die Füllung klein, und ich trinke Bier. Er will Rouladen machen, dazu soll es Wirsinggemüse und Röstkartoffeln geben. Er hat bereits zwei Bierdosen aus dem Kühlschrank genommen und gesagt, dass nichts über ein Kochbier gehe. Nach kurzer Zeit hat er nachgelegt. Er ist wirklich geschickt, nicht nur beim Trinken.
»Was geht die die Sache denn an?«, sagt er. »Die sitzen da drüben in ihren Altbauwohnungen und träumen von einer gerechten Welt, in der sich Hase und Igel Gute Nacht sagen.«
Ich betrachte die Einbauküche hinter ihm, beige Hängeschränke mit braunen Griffen, braune Leisten, Furnier, braune Arbeitsplatte. Ich habe keine Ahnung, wo Susann ist, wahrscheinlich oben in ihrem Zimmer, dabei, sich die Haare zu kämmen. Ich bin froh, dass Henry nicht auf die Idee gekommen ist, mich nach meiner Freundin zu fragen, so privat. ›Hast du eigentlich eine Freundin? Bring sie doch mit, das ist doch nett.‹ Dann hätte er mir zugezwinkert. Und ich hätte Petra angerufen und gesagt, ›ach, komm schon, wir sind befreundet, das bist du mir schuldig. Und wundere dich bitte nicht, wenn dieser Mann Martin zu mir sagt, das ist so ein Tick von ihm. Er ist aber sonst eigentlich ganz nett.
Könntest du vielleicht auch Martin sagen, nur diesen einen Abend lang?‹
»Wenn ich die Sache richtig verfolgt habe«, sage ich, »scheint mir das etwas verkürzt
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