Delfinarium: Roman (German Edition)
Sprecher der Wirtschaftsbehörde. Der Sprecher behauptet, dass es Verbindungen zwischen den Gegnern der Landebahnverlängerung und Vertretern des Airbus-Standorts Toulouse gebe. Den Anwälten der Obstbauern seien geheime Dokumente zugespielt worden, damit in der Konkurrenz der Luftfahrtstandorte Toulouse und Finkenwerder die Franzosen bessere Karten hätten. Es geht um den Zuschlag bei der Fertigung der neu entwickelten Riesenmaschine, den beide Standorte für sich einfordern. Es geht um Steuermillionen und um geheime Zusagen des Senats. Der Behördenvertreter versucht den Eindruck zu erwecken, als sei der ganze Widerstand gegen den Ausbau der Landebahn von Toulouse aus gelenkt, eine große Intrige, als seien Leute wie Petra Marionetten im Spiel von internen Konzerninteressen, als ginge es da um eine riesige Luftfahrtmafiageschichte.
»Wow«, sage ich.
Der Wirtschaftsfuzzi sagt, es ginge bloß um Geld, man dürfe das Schicksal des gesamten Wirtschaftsstandortes nicht der Willkür einiger klammer Obstbauern überlassen. Man könne nicht ins 19. Jahrhundert zurück und in Finkenwerder bloß Schafe auf dem Deich weiden lassen.
Über Susanns Verschwinden lese ich nichts. In der Zeitung steht nichts über die Entführung einer 32-jährigen, stummen Mutter durch einen jungen Desperado, es gibt keine Fahndungsfotos von Susann und mir, keine Bilder von einer desorientierten, großen Blondine in einer Stewardessenuniform und einem farblosen Dunkelhaarigen um die zwanzig, von irgendeiner Überwachungskamera aufgenommen. Das beruhigt mich irgendwie.
Ich rufe Petra an.
»Dein Vater wundert sich, warum du dich nicht meldest«, sagt sie. »Ich habe unter einem Vorwand angerufen. Du solltest ihm mal ein Lebenszeichen geben.«
»Ja«, sage ich. »Und du solltest dir mal eine Zeitung kaufen. Sieht nicht gut aus.«
»Weiß ich«, sagt Petra.
»Ist schon dieser Mann aus Tilsit aufgetaucht?«, frage ich.
»Häh?«, macht sie.
»Dieser Typ«, sage ich, »der den Airbus-Leuten verkündet, dass ihre Nachkommen von Hunden und Vögeln aufgefressen werden.«
»Du meinst Elia aus Tisbit. Nein, ist noch nicht aufgetaucht, wird aber langsam Zeit.«
Wir schweigen. »Und bei dir?«, fragt sie.
»Nichts«, sage ich und denke an das Nichts, das ich im Arm gehalten habe, ein bewegtes Nichts. »Ich habe die Spur verloren«, sage ich, »aber jetzt ist der Kontakt wieder hergestellt. Aber noch kann ich nichts sagen.«
»Aha«, sagt Petra. »Halt mich auf dem Laufenden, ja?«
»Klar«, sage ich.
Mir ist schwindelig. Nicht mal mehr drei Tage. Die ganze Sache ist etwas groß und konturlos, scheint mir. Ich bekomme unscharf das Bild eines großen, braunen Sees nicht aus dem Kopf, unter dessen Oberfläche ich leben muss. Ich habe ein Atemluftproblem.
14. Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen
Wir fahren in das Dorf ein, dessen Name mir Max Braun genannt hat. Vor einer Bude stehen Männer in Gummistiefeln mit großen Bierflaschen in der Hand. Sie sehen dem Wagen hinterher. Es sieht nicht so aus, als würden viele Fahrzeuge mit fremden Kennzeichen durch das Dorf fahren. Auf der Karte habe ich gesehen, dass eine Straße in das Dorf hineinführt, aber keine auf der anderen Seite hinaus. Hinter dem Dorf ist Wald, ein Schießübungsplatz der Bundeswehr, aber dann ist erst einmal Schluss mit Zivilisation. Man kann bestimmt gut Pilze suchen in der entsprechenden Jahreszeit. Es gibt einen See mit einem Waldschwimmbad. Ich stelle den Wagen auf einem zentralen Platz unter riesigen, alten Linden ab. Bäume, die das Auto volltropfen werden mit ihrem Saft. Es wird schwer werden, in so einem Dorf unerkannt zu bleiben. In der Mitte des Platzes steht ein Kriegerdenkmal aus dem Ersten Weltkrieg. Eine Frau mit einem Fahrrad schiebt am Auto vorbei. Sie guckt betont in eine andere Richtung, wo sich ein Wildgehege mit Wildschweinen befindet, davor ein verwittertes Bushaltestellenhäuschen aus Beton. Ich kurbele das Fenster herunter.
»Max Braun«, sage ich, »kennen Sie den?«
Die Frau zeigt auf einen Hof etwas weiter die Dorfstraße hinab.
Ich parke den Wagen so, dass er von der Dorfstraße aus nicht zu sehen ist.
Ich sage: »Bleib du erst einmal hier, dann schaue ich mich mal um, ja?«
Susann hält den Saum ihres Rocks zwischen den Fingern, sie mustert ihn eingehend.
Vor dem Haus steht ein Hund, ein großer, schwarzer. Er ist nicht angeleint oder so, er steht einfach frei da und schaut mich an. Ich überlege, ob ich mich erst noch verstecke und das
Weitere Kostenlose Bücher