Delfinarium: Roman (German Edition)
Haus observiere, ob ich mir einen Reim auf die Gewohnheiten seiner Bewohner mache. Dann beschließe ich, dass das Quatsch ist. Das Haus ist ein großes, altes Bauernhaus mit Fachwerk an der Stirnseite. Es gibt eine Terrasse, die zur Straße hin liegt. Das Grundstück ist von einer baufälligen Mauer aus Ziegelsteinen umgeben. Vor der Terrasse ist ein kleiner Garten, dort endet die Mauer und ein niedriger Metallzaun beginnt. Die Auffahrt auf den Hof ist von einem Metallgatter begrenzt. Die Metallstreben sind abwechselnd gelb und schwarz gestrichen. Hinter diesem Gatter steht der schwarze Hund und schaut mich an. Er bellt nicht. Er knurrt nicht. Er wedelt nicht mit dem Schwanz. Eigentlich zeigt er gar keine Reaktion, er schaut bloß aus tiefen, schwarzen Augen. Er legt den Kopf schief. Ein Susannenhund. Ich gehe an der Mauer entlang, ich trete auf die Terrasse, ich öffne das Gartentor und klopfe an der Eingangstür. Keine Reaktion.
Ich klingle. Braun lese ich handgemalt auf dem Klingelschild.
Der Hund ist durch den Vorgarten gegangen und steht jetzt neben mir, riecht an meinem Hosenbein. Er ist sehr groß, er reicht mir fast bis zur Hüfte. Ich fühle mich sehr unbehaglich neben diesem schnuppernden Hund. Ich drücke noch einmal auf die Klingel, im Haus regt sich nichts. Es ist niemand da, scheint mir. Ich trete zurück auf die Straße, der Hund folgt mir. Ich lege den Kopf in den Nacken und betrachte das Haus, es sieht sonderbar unbelebt aus. Der Hund scheint auch zu schauen, er steht neben mir und betrachtet sein Haus. Etwas weiter entfernt die Straße hinunter kann ich den See durch die Blätter von Bäumen schimmern sehen. Ich gehe die Dorfstraße in diese Richtung hinunter, Kopfsteinpflaster. Der Hund folgt mir, er verhält sich, als würden wir uns seit Jahren kennen. Ich habe jetzt keine Angst mehr, aber ich käme auch nicht auf die Idee, ihn zu berühren. Wir tolerieren uns, so eine Art von Beziehung ist das. Ich könnte ein Experiment mit Susann machen, denke ich, wie die beiden aufeinander reagieren. Aber erst einmal gehe ich zum See, über eine Grasfläche. An anderen Bauernhäusern vorbei. Dann stehe ich am Seeufer. Es ist ein kreisrunder See, es sind vielleicht hundert Meter bis zum gegenüberliegenden Ufer, dort kann ich unter hohen Kiefern die Badeanstalt sehen, eine ältliche Badeanstalt mit Stegen und Baracken aus Holz. Die Badeanstalt ist leer. Es ist kein Badewetter heute. Der See ist ringsum von Wald umstanden. Ein grauer See mit grünem Rand, ein schwerer, grauer Himmel drüber. Es ist sehr still hier. Der Hund sieht mich fragend an.
Plötzlich steht Max Braun hinter mir. Er sagt: »Ich habe mir schon gedacht, dass ihr heute kommt, als du anriefst. Wo ist Marie?«
Ich muss etwas überlegen, bis ich weiß, von wem er spricht.
»Im Auto«, sage ich. »Susann. Der See ist schön.«
»Ja, finde ich auch. Ich schwimme jeden Morgen, bis in den Oktober hinein.«
»Der Hund ist eigenartig«, sage ich. »Aber nicht unfreundlich, komischer Hund, wie heißt er?«
»Was für ein Hund?«, fragt Max Braun. Ich schaue mich um, und auf einmal ist da kein Hund mehr, weit und breit.
»Äh, der Hund«, sage ich lahm, »der schwarze Hund, der das Haus bewacht.«
Max lacht. »Davon wüsste ich aber.«
»Da war ein schwarzer Hund«, sage ich. »Auf dem Grundstück. Er hat mich bis an den See begleitet.« Ich mache eine Geste in Hüfthöhe.
»Okay«, sagt Max mit hochgezogener Augenbraue. »Mein Hund war das nicht.«
»Äh«, sage ich.
»Komm«, sagt er, »lass uns mal meine Frau aus deinem Auto befreien, okay?«
»Äh, ja«, sage ich kleinlaut, weil ich mich etwas ins Hintertreffen geraten fühle.
Als wir zum Auto kommen, ist Susann nicht da. Vermutlich ist sie da, wo der Hund ist. Oder sie sind beide ein und dieselbe Person, Susann und der Hund. Bald wundert mich nichts mehr.
»Scheiße«, sage ich.
»Ach«, sagt er. »Hier gibt es nicht so viele Möglichkeiten, irgendwo hinzugehen, außerdem kennt sie sich ja aus. Wahrscheinlich ist sie nach Hause gegangen, als du nicht wiederkamst. Was soll sie auch im Auto herumhocken?«
»Es sei denn, sie ist wieder abgehauen«, sage ich.
»Quatsch«, sagt er. »Komm.«
In der Wohnstube sitzt Susann auf einem alten Sofa, die Hände auf den Knien, die Beine geschlossen, aufrecht. Sie schaut nicht hoch, als wir eintreten. Wir sind durch das gelb-schwarze Gatter gegangen, aber da war kein Hund. Über den Hof gelangt man auf die Rückseite des Hauses, dort
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