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Delfinarium: Roman (German Edition)

Delfinarium: Roman (German Edition)

Titel: Delfinarium: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Weins
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gibt es noch eine Tür, die offen stand und in eine große Wohnküche führte. Die Küche war dunkel, die Fenster waren klein und ließen wenig Licht ein. In der Mitte stand ein Tisch, der Raum war erfüllt vom Summen einer voluminösen Heizungsanlage in der Ecke mit silbernem Ofenrohr zur Decke. Über dem Tisch baumelte ein klebriges Fliegenband von der Decke. Max Braun hat seine Lederjacke an eine Garderobe in einem Flur zur Vorderseite des Hauses aufgehängt. Dann sind wir über eine hohe Schwelle in diese Wohnstube getreten. Susann sitzt unter einem Bild vom See, auf dem Bild sieht man das Seeufer von der Seemitte aus, hinter den Bäumen als Schemen ein Haus, von dem ich mich frage, ob es das ist, in dem wir uns befinden. Die Wohnstube ist voller alter Möbel aus dunklem Holz. Es riecht nach Großmutter. In der Ecke steht eine alte Standuhr, deren schweres Pendel schwingt. Jede Bewegung im Raum auf den alten, dunklen Dielen lässt die Uhr gong- und glockenartige Geräusche von sich geben, als käme bei jedem Schritt etwas aus dem Gleichgewicht.
    »Ich koche mal Kaffee«, sagt Max in aller Seelenruhe. Offensichtlich überrascht es ihn nicht, dass sie da sitzt. Für mich beweist das gar nichts, das soll er ja nicht glauben. Ich habe ihn im Verdacht, Susann im Auto gesehen und mit in seine Wohnung genommen zu haben, bevor er mich am See traf, ganz einfach. So doof bin ich auch nicht, selbst wenn mir schwarze Hunde erscheinen, die nicht da sind.
     
    Ich stelle die Omakaffeetasse ab, die Max mir vollgeschenkt hat, ich blättere mich durch das Fotoalbum, das Susann, das Marie als Kind und als Jugendliche zeigt, angefangen von der Geburtsanzeige: Babyfotos, Junge Pioniere, Jugendweihe, Klassenreise in die Tschechoslowakei und später die Bilder aus Berlin, erst noch Hauptstadt der DDR, dann Berlin Ost, Prenzlauer Berg.
    Ich sage: »Kann es nicht sein, dass Marie eine Zwillingsschwester hat, dass die beiden Zwillingsschwestern sind, meine ich, Susann und Marie?«
    Denn es ist wirklich unglaublich.
    »Das ist doch die einfachste Erklärung, und es scheint mir eigentlich die einzig logische zu sein.«
    Max schaut mich über den Rand seiner Kaffeetasse an.
    »Marie hat keine Zwillingsschwester«, sagt er.
    »Es gibt doch Geschichten von Zwillingspaaren, die bei der Geburt getrennt werden durch irgendeinen unglücklichen Umstand.«
    »Martin«, sagt er, »ich kenne Maries Mutter. Da war nie eine Zwillingsschwester, sie hätte es ja wohl wissen müssen.«
    »Hm«, mache ich. »Und wenn sie einfach Doppelgängerinnen sind?«
    »Sie ist es«, sagt er. »Sie ist mir völlig vertraut. Es stimmt alles, die Größe, die kleinen Merkmale, ich bin doch nicht blöd.«
    »Und warum schweigt sie dann jetzt?«, frage ich. »Wenn sie Marie ist, warum schweigt sie? Wenn sie Susann ist, kann ich es dir nämlich erklären.«
    »Stimmt«, sagt er, »das müssen wir herausfinden. Was hat dieser Henry mit ihr gemacht?«
    »Wir müssen klären«, sage ich, »ob Susann an dem Tag aufgehört hat zu sprechen, als Marie verschwunden ist. Das ist doch die Frage. Ob die beiden Frauen miteinander verbunden sind irgendwie.«
    Max schaut mich an.
    »Kann ein Mensch zweimal existieren, so eine Art kosmischer Doppelbelichtung, in zwei unterschiedlichen Ausführungen, parallel irgendwie, zwei Leben, ein Individuum, Ost-West, ein Irrtum quasi, und irgendwann fällt dem
    Universum auf, dass es einen Fehler gemacht hat und puff! versucht es den eigenen Fehler zu korrigieren?«
    Max schaut Susann an, die den Kopf schief gelegt hat und uns spöttisch lächelnd anguckt, da ist ein Funkeln in ihren Augen. Es ist überhaupt sonderbar, so über sie zu reden, als wäre sie nicht anwesend.
    »Du meinst, wie ein Trainer beim Fußball, der versehentlich einen Feldspieler zu viel auf den Platz geschickt hat oder einmal zu viel auswechselt?«
    »So in etwa«, sage ich.
    »Wusstest du«, sagt er, »dass sich nach der Quantentheorie ein Partikel an zwei oder mehreren Orten gleichzeitig aufhalten kann? Heisenbergsche Unschärfe. Wenn du hinguckst, ist das Partikel ein Teilchen und du kannst ganz genau sagen, an welchem Ort im Raum es lokalisiert ist. Wenn du nicht hinschaust, wenn du den Beobachter ausschaltest, wird das Partikel zur Welle und ist nicht mehr scharf lokalisierbar. Man hat heute sogar schon mit bloßem Auge sichtbare Teilchen fotografieren können, die sich an zwei Orten gleichzeitig befinden. Das kann man auf dem Foto sehen!«
    »Aha«, sage ich.
    »Nee, das

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