Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
gelehnt. Da die beiden Sprechenden eine ziemliche Strecke von mir entfernt waren und ich sehr angelegentlich in das Wasser zu blicken schien, so mochten sie denken, daß ich ihre Unterhaltung nicht verstünde. Der Derwisch fragte:
»Ein Nemtsche ist dieser? Ist er reich?«
»Nein.«
»Woher weißt du dies?«
»Er giebt nur den sechsten Teil dessen, was wir für die Fahrt verlangten. Aber er besitzt einen Bjuruldu des Großherrn.«
»So ist er sicher ein sehr vornehmer Mann. Hat er viel Gepäck bei sich?«
»Gar keines, aber viele Waffen.«
»Ich habe noch keinen Nemtsche gesehen, aber ich habe gehört, daß die Nemsi sehr friedliche Leute sind. Er wird die Waffen nur tragen, um damit zu prunken. Doch jetzt bin ich fertig mit meinem Mahle; ich werde weiter fahren. Sage deinem Herrn Dank, daß er einem armen Fakir erlaubt hat, sein Schiff zu betreten!«
Einige Augenblicke später kniete er wieder auf seinem Floß. Er ergriff das Ruder, führte es im Takte und sang dazu sein »ïa Allah, Allah hu!«.
Dieser Mensch hatte einen eigentümlichen Eindruck auf mich gemacht. Warum hatte er das Schiff bestiegen und nicht am Ufer angelegt? Warum hatte er gefragt, ob ich reich sei, und während der ganzen Unterhaltung das Deck mit einem Blick gemustert, dessen Schärfe er nicht vollständig verbergen konnte? Ich hatte äußerlich nicht den mindesten Grund zu irgend einer Befürchtung, und dennoch kam mir in der Seele dieser Mann verdächtig vor. Ich hätte schwören mögen, daß er gar kein Derwisch sei.
Als er für das bloße Auge unverfolgbar war, richtete ich mein Fernrohr nach ihm. Obgleich in jenen Gegenden die Dämmerung sehr kurz ist, war es doch noch hell genug, ihn durch die Gläser zu erkennen. Er kniete nicht mehr, wie sein angebliches Gelübde ihm doch vorgeschrieben hätte, sondern er hatte sich bequem niedergesetzt und das Floß halb gewendet – – er ruderte der jenseitigen Küste zu. Hier war jedenfalls etwas »nicht richtig im Staate Dänemark«.
Halef stand neben mir und beobachtete mich. Er schien sich damit zu beschäftigen, meine Gedanken zu erraten.
»Siehst du ihn noch, Sihdi?« fragte er mich.
»Ja.«
»Er denkt, daß wir ihn nicht mehr sehen können, und rudert dem Lande zu?«
»So ist es. Woraus vermutest du dies?«
»Nur Allah ist allwissend, aber auch Halef hat scharfe Augen.«
»Und was haben diese Augen gesehen?«
»Daß dieser Mann weder ein Derwisch noch ein Fakir war.«
»Ah?«
»Ja, Sihdi. Oder hast du jemals gesehen und gehört, daß ein Derwisch von dem Orden Kaderijeh die Litanei der Hawlajüpredet und singt?«
Der »Heulenden« – heulende Derwische.
»Das ist richtig. Aber weshalb sollte er sich für einen Fakir ausgeben, wenn er keiner ist?«
»Das muß man zu erraten suchen, Effendi. Er sagte, daß er auch während der Nacht fahren werde. Warum thut er es nicht?«
Da unterbrach der Steuermann unser Gespräch. Er trat herzu und fragte:
»Wo wirst du schlafen, Effendi?«
»Ich werde mich in den Tachta-perdelegen.«
Verschlag.
»Das geht nicht.«
»Warum?«
»Weil dort das Geld aufbewahrt wird.«
»So wirst du uns Teppiche besorgen, um uns hinein zu hüllen, und wir schlafen hier auf dem Verdeck.«
»Du sollst sie haben, Sihdi. Was würdest du thun, wenn Feinde zu dem Schiffe heran kämen?«
»Welche Feinde meinst du?«
»Räuber.«
»Giebt es hier Räuber?«
»Die Dscheheïne wohnen hier in der Nähe. Sie sind berüchtigt als die größten Chirsizlerweit und breit, und kein Schiff, kein Mensch ist vor ihnen sicher.«
Spitzbuben.
»Ich denke, Euer Herr, der Wergi-Baschi Muhrad Ibrahim, ist ein Held, ein tapferer Mann, der sich vor keinem Menschen fürchtet, auch vor keinem Räuber, vor keinem Dscheheïne?«
»Das ist er; aber was vermag er, und was vermögen wir alle gegen Abu-Seïf, den ›Vater des Säbels‹, der gefährlicher und schrecklicher ist, als der Löwe in den Bergen oder der Haifisch im Meere?«
»Abu-Seïf? Ich kenne ihn nicht; ich habe noch niemals von ihm gehört.«
»Weil du ein Fremdling bist. Zur Weidezeit bringen die Dscheheïne ihre Herden nach den beiden Inseln Libnah und Dschebel Hassan und lassen nur wenig Männer bei ihnen. Die andern aber gehen auf Raub und Diebstahl aus. Sie überfallen die Barken und nehmen entweder alles, was sie darauf finden, oder erpressen sich ein schweres Lösegeld, und Abu-Seïf ist ihr Anführer.«
»Und was thut die Regierung dagegen?«
»Welche?«
»Steht Ihr denn nicht im Giölgeda
Weitere Kostenlose Bücher