Delphi sehen und sterben
hatte Angst vor den Schmerzen, aber er wusste, dass er uns vertrauen konnte.« Cleonyma blieb sachlich. Ich konnte sie mir als forsche, wenn auch tüchtige Krankenschwester vorstellen. Sich von ihr im Bett waschen zu lassen könnte beängstigend sein. Zumal, wenn sie getrunken hatte. »Er hatte vorher nichts davon gesagt, doch als er starb, hinterließ er uns alles.«
»Also wissen Sie, dass er Ihre Loyalität schätzte.«
»Und dass niemand sonst ihn ertragen hätte! Wir beiden waren schon seit Jahren inoffiziell zusammen«, erinnerte Cleonyma sich zurück. Sklaven dürfen nicht heiraten, nicht mal andere Sklaven. »Aber sobald dieser warme Regen über uns niederging, machten wir die Sache offiziell. Wir gaben einen riesigen Empfang mit allem, was dazugehört, Zeremonie, Kontrakt, Ringe, Schleier, Nüsse, Zeugen und einem sehr teuren Priester für die Weissagungen.«
Helena lachte. »Die Weissagungen waren gut, hoffe ich?«
»Allerdings – schließlich zahlten wir dem Priester genug dafür!« Cleonyma genoss die Geschichte ebenfalls. »Er war eine klapprige alte Nervensäge – aber es gelang ihm, in der Schafsleber zu sehen, dass wir ein langes Leben voller Glück haben werden, also gehe ich davon aus, dass er ein gutes Sehvermögen hatte. Wenn nicht, ist es mit dir und mir vorbei«, flötete sie ihrem Mann zu, der sie mit verschwommenem, jedoch freundlichem Blick anschaute. »Jetzt wollen wir einfach die Welt sehen. Wir haben es uns verdient, also warum sollten wir es nicht tun?«
Wir hoben alle unsere Becher und prosteten ihnen zu.
»Noch jemand interessierte sich für Valerias Schicksal.« Bemüht, nicht zu besorgt zu wirken, fragte Helena: »War da nicht ein junger Mann namens Camillus Aelianus?«
»Ach der!« Das laute Quartett lachte schallend.
»Er ist vielen Leuten auf den Geist gegangen«, verkündete Minucia.
Traurig erklärte Helena: »Das hat nichts zu bedeuten. Er merkt das gar nicht.« Sie ließ die Wahrheit einsinken. »Aelianus ist mein Bruder, muss ich leider sagen.«
Alle starrten sie an.
»Er behauptete, er sei der Sohn eines Senators!«, rief Cleonyma aus. Helena nickte. Cleonyma musterte sie von Kopf bis Fuß. »Und was ist mit Ihnen? Sie sind mit einem Privatermittler zusammen, daher dachten wir …«
Helena schüttelte freundlich den Kopf. »Machen Sie keinen Fehler – Marcus ist ein sehr guter Ermittler. Er hat Talent, Verbindungen und ein Gewissen, Cleonyma.«
»Und ist auch gut im Bett?« Cleonyma kicherte und stupste Helena in die Rippen. Sie wusste, wie man eine peinliche Situation durch Senken der Stimme entschärfte.
»Oh, sonst hätte ich ihn nicht mal angesehen!«, erwiderte Helena.
Ich trank gelassen meinen Wein. »Und wo ist Aelianus, weiß das jemand?«
Sie zuckten alle mit den Schultern und teilten uns mit, er sei einfach verschwunden.
XXIV
Eine Gesprächspause erlaubte Volcasius, uns zu unterbrechen.
Mit dem unverfrorenen Mangel an Takt quatschte mich der Mann, neben dem niemand sitzen wollte, plötzlich an: »Ich habe mein Mittagessen beendet. Sie sprechen besser jetzt mit mir!« Er war aufgestanden und wollte den Innenhof verlassen.
Ich sammelte meine Notiztafeln ein und ging hinüber zu dem Tisch, an dem er allein gesessen hatte. Mit einer unbeholfenen seitlichen Bewegung sank er zurück auf die Bank. Seine Kleidung war ungepflegt und sonderte einen unangenehmen Körpergeruch ab. Obwohl er sich mir gegenüber schroff verhielt, würde ich höflich mit ihm umgehen. Menschen wie er wissen, wie andere sie betrachten. Er war vermutlich intelligent – vielleicht
zu
intelligent; das konnte das Problem sein. Er konnte uns durchaus nützliche Informationen liefern.
»Sie werden Volcasius genannt?«
Er funkelte mich an. »Also hat Sie ein Spitzel mit unseren Biographien versorgt!«
»Nur mit einer Namensliste. Gibt es etwas, das Sie dem hinzufügen können, was die anderen mir erzählt haben?« Er zuckte mit den Schultern, und so fragte ich ihn: »Glauben Sie, dass Statianus seine Frau ermordet hat?«
»Keine Ahnung. Das Paar war mit sich selbst beschäftigt und hat mich nicht interessiert, ehrlich gesagt. Ich habe nie den Eindruck gewonnen, dass er eifersüchtig war oder durchdrehen könnte.«
Ich musterte den Sonderling nachdenklich und überlegte, ob er sich vielleicht mal an die Braut herangemacht hatte.
Der Mann war gescheit, wie ich gedacht hatte. Er las meine Gedanken. »Sie stellen sich vor, dass
ich
sie ermordet habe!« Die Art, in der
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