Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
unter einem Weinglase auf dem Schenktische zur Erbauung der Besucher aufbewahrt, die gebührend davon unterrichtet werden, dass Herr Soundso den Strauch, der sie erzeugt hat, eigenhändig gepflanzt habe. An Sommerabenden, wenn die große Gießkanne ein- bis zweidutzendmal gefüllt und geleert und das alte Paar vollkommen erschöpft ist, sieht man ihn und sie vergnüglich in dem kleinen Pavillon beisammensitzen. Sie freuen sich der friedlichen Stille im Zwielicht und schauen zu, wie sich die Schatten der Nacht immer dichter auf den Garten herabsenken und die farbigsten Blumen mit immer tieferem Grau umhüllen – kein schlechtes Bild der Jahre, die schweigend über sie hingezogen sind und in ihrem Fluge die glänzendsten Farben jugendlicher, längst entschwundener Hoffnungen und Gefühle verwischten. Dies sind ihre einzigen Vergnügungen, und mehr verlangen sie nicht. Sie haben die Möglichkeiten zu einem ruhigen, heiteren und zufriedenen Leben in sich selbst, und beider einziger Wunsch ist, vor dem anderen zu sterben.
Wir haben hier keine Phantasieskizze entworfen. Es lebten wirklich viele alte Leute dieser Art in London, wenn sich ihre Zahl auch vermindert haben und fortwährend im Abnehmen begriffen sein mag. Ob die Richtung, die die weibliche Erziehung in der neuesten Zeit genommen, ob Vergnügungssucht und die Lust an leeren Nichtigkeiten die Frauen mehr oder minder ungeschickt zu der stillen Häuslichkeit gemacht hat, in der sie weit schöner sind als im glänzendsten Gesellschaftssaale: das ist eine Frage, die wir mit wenig Freude erörtern würden. Wir wollen gern hoffen, dass dem nicht so sei.
Wenden wir uns jetzt zu einer anderen Klasse der Londoner Bevölkerung, deren Vergnügungen mit denen der bis jetzt geschilderten so stark als nur möglich kontrastieren – wir meinen die Sonntagsausgänger; und mögen unsere Leser sich vorstellen, sie ständen an unserer Seite in einem der vielbesuchten ländlichen »Teegärten«.
Es ist heute nachmittag eine gewaltige Hitze; mit jedem Augenblicke langen neue Häufchen von Gästen an, und sie gleichen den neubemalten Tischen, die so aussehen, als wenn sie vor Hitze glühten. Welch ein Staub, Geräusch und Getümmel! Männer und Frauen – Knaben und Mädchen – liebende und verheiratete Paare – Kinder auf den Armen und Kinder in Wägelchen – Pfeifen und kleine Seehummern – Zigarren und essbare Herzmuscheln – Tee und Tabak, Herren in Schrecken einjagenden Westen, mit stählernen Uhrketten darüber und mit erstaunlicher Würde (wie der Gentleman im nächsten Verschlag scherzhaft bemerkt, nach dem Sprichwort: »Dicktun ist mein Reichtum, zwei Heller mein Vermögen«) promenieren zu dreien Arm in Arm umher. Junge Damen mit langen, weißen Taschentüchern, so groß wie kleine Tafeltücher, in den Händen, haschen einander auf dem Rasen und auf die munterste und interessanteste Weise, in der Absicht, die Aufmerksamkeit der erwähnten Herren zu erregen. Ehemänner bestellen für die Gegenstände ihrer Fürsorge mit verschwenderischer Rücksichtslosigkeit betreffs der Kosten ganze Flaschen Ingwerbier; besagte Fürsorgegegenstände spülen gewaltige Quantitäten von Seegarnelen und Herzmuscheln mit gleich geringer Rücksicht auf ihre Leibesgesundheit und ihr nachheriges Befinden hinunter; Knaben mit großen, seidenen, auf ihren Scheiteln balancierenden Hüten rauchen Zigarren und bemühen sich, so auszusehen, als ob sie Gefallen daran hätten, und Herren in rosaroten Hemden und blauen Westen bringen bald andere Leute und bald sich selbst mit ihren eigenen Spazierstöcken zu Fall.
Ein Teil ihres Putzes nötigt uns ein Lächeln ab; doch sie sind alle sauber und vergnügt und gutmütig und zur Geselligkeit geneigt. Dort jene beiden mütterlich aussehenden Frauen mit den sehr bunten Schals, die so vertraulich miteinander plaudern und deren viertes Wort immer ein eingeschobenes »Ma’am« ist, machten oder zogen vielmehr ihre Bekanntschaft vor einer Viertelstunde gleichsam mit den Haaren herbei. Sie wurde angeknüpft an den Faden der Bewunderung des Knäbleins der einen – jenem Diminutiv-Männlein dort, das den dreieckigen rosaseidenen Hut mit schwarzen Federn auf dem Kopfe hat. Die beiden auf und ab gehenden und ihr Pfeifchen rauchenden Männer in den blauen Röcken und braunen Beinkleidern sind ihre Ehegatten. Die Gesellschaft in dem Verschlage gegenüber kann so ziemlich als Typus der Mehrzahl der Gäste gelten. Da sind Vater und Mutter und die alte Großmutter,
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