Dem Killer auf der Fährte
vernünftigerweise damit abgefunden, daß sie es nur verhindern, aber nie ganz abschaffen können. Unsere Mülleimer haben festschließende Deckel, und auf die Deckel stapeln wir noch zusätzliche Hindernisse. Wir verschließen sorgfältig alle Türen, und wir bemühen uns, alles, was in Versuchung führen könnte, außer Reichweite zu räumen. Rowdy gelingt es allerdings immer wieder, die Zuckerdose zu stibitzen, die oft auf dem Küchentisch steht, weil ich vergesse, sie in den Schrank zu stellen. Er ist darin so geschickt, daß er die Dose in die Schnauze nehmen, sie zu einem seiner Verstecke tragen und dort auslecken kann, ohne auch nur ein Geräusch zu machen, oder das Gefäß irgendwie zu beschädigen. Mit etwas Mühe hätte ich ihm das sicher auch noch abgewöhnen können, aber ich habe mir die Mühe gespart. Alles, was ich tat, war, ihn auf Diabetes untersuchen zu lassen, aber er ist nicht zuckerkrank, sondern lediglich räuberisch veranlagt. Während der rauhen Winter in der Antarktis kam es häufig vor, daß die Inuit-Menschen, von denen wir die ursprüngliche Rasse der Malamutes haben, hungerten und die Hunde für sich selbst sorgen mußten. Wären die Malamutes keine Raubtiere, wären sie schon vor Jahrtausenden ausgestorben. Deshalb konnte ich es verstehen, wenn Rowdy Nahrung stahl, und, wie Rita immer sagt: etwas zu verstehen, heißt, es zu verzeihen. Sie hat mir auch gesagt, daß dieses Zitat von Madame de Staël stammt, aber ich wette, sie hat diesen Spruch nicht annähernd so oft benutzt wie Rita. Jedenfalls nahm ich sofort an, daß einer der Hunde - höchstwahrscheinlich Kimi - wieder einmal die Wassersprühflasche und die Kaffeedose voller Münzen vom Mülleimer gestoßen hatte und nun dabei war, den Inhalt zu durchwühlen. Dann fiel mir plötzlich ein, daß ich den Eimer gerade geleert hatte.
Als ich in die Küche trat, hatten beide ihre schwarzen Schnauzen in der aufgerissenen Aluminiumfolie vergraben. Sie kämpften noch nicht einmal um die gefrorenen Schokoladecroissants, sondern sahen aus wie ein hübsches Wolfspaar, das ein romantisches Abendessen für zwei goutierte.
Ich ging direkt auf Rowdy zu, wobei sich wieder einmal der Sinn und Zweck von Gehorsamkeitsübungen erwies: »Rowdy, Pfui! Aus!« Meine Stimme war ruhig und fest. Ich nahm sein Halsband in die Hand und gab ihm einen sanften Ruck, um meine Worte zu unterstreichen. Prompt öffnete er die Schnauze, und ein großes Stück Gebäck fiel auf den Boden. Dann zog ich ihn etwas weiter weg, lobte ihn und gab ihm das Kommando »Rowdy, Sitz!« Als er gehorchte, streckte ich meine linke Hand aus und hielt sie ihm genau vor das Gesicht. »Bleib!«
Ich hatte keine Chance, meinem Neuling Kimi zu befehlen, sofort mit dem Fressen aufzuhören, und nichts bei mir, was sie von ihrer Beute hätte weglocken können, keine Leber in meinen Taschen und keine Zeit, etwas aus dem Kühlschrank zu holen. Ich wußte, daß sie mich möglicherweise beißen würde, aber es war zu spät, um loszurennen und mir meine Lederhandschuhe anzuziehen, die ich für solche Notfälle im Haus habe. Statt dessen stellte ich mich sofort über sie, ergriff mit einer Hand ihr Halsband und legte die andere fest um ihre Schnauze, wobei ich die Finger tief in ihr Maul grub. Ihre Kiefer begannen nachzugeben, und ich nahm jetzt beide Hände, schüttelte ihren Kopf und zwang sie, die Schnauze ganz zu öffnen und ihre Beute freizugeben, bis die Schokoladenmasse schließlich klatschend zu Boden fiel. Mit beiden Händen griff ich wieder ihr Halsband und zog sie mit einem heftigen Ruck fort, damit sie sich das halbzerkaute Gebäck nicht wieder schnappen konnte. Sie hat es nichtverstanden, oder wenn, hat sie noch nie etwas von Madame de Staël gehört.
Mit einer schnellen Drehung ihres Kopfes tat sie das, was jedes normale Raubtier mit einem Wesen tun würde, das ihm die Beute stiehlt: Sie biß mich, und das nicht in meinen vom Pullover geschützten Arm, sondern in die bloße Hand, ein schneller, sauberer Hieb in das Fleisch zwischen Daumen und Zeigefinger. Wenn man noch nie von einem Hund gebissen wurde, stellt man sich wahrscheinlich vor, daß es sich anfühlt, als ob man sich mit einem Messer geschnitten oder an einem Nagel verletzt hätte, aber so ein tiefer Biß ist eher so, als hätte man einen Schlag mit dem Baseballschläger erhalten. Es ist ein rasender, körperlicher Schmerz, aber der seelische Schmerz ist sogar noch schlimmer. Jedesmal, wenn das passierte, und das war nicht
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