Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
hört mit unbewegtem Gesichtsausdruck zu, das Kinn auf die rechte Faust gestützt. Während Harbort ihr darlegt, dass ihr Mann an vielen Stellen Wissen preisgegeben hat, Wissen das nur ein Mensch auf diesem Planeten haben konnte – nämlich der Täter – verschränkt sie die Arme und lehnt sich zurück.
Sie habe die Akte gelesen. An handschriftliche Dinge könne sie sich nicht erinnern, entgegnet Anke S. Das bedeute, entweder habe der Anwalt ihr die vollständige Akte nicht gegeben oder es habe dem Anwalt nicht so vorgelegen. Harbort muss lächeln. Dann erklärt er der Frau, dass diese handschriftlichen Ergänzungen mit Sicherheit vorhanden seien. Wenn ein Gericht dies in seinem Urteil so schreibe, dann sei es wahr, weil der Richter es persönlich in Augenschein genommen habe. Anke S. will ihm ins Wort fallen, aber Harbort beendet seine Ausführungen damit, dass sie dies »doch einfach mal glauben« dürfe.
» Einfach so glaube sie schon lange nichts mehr«, sagt Anke S. Jetzt hat sie die Arme zu einer Barriere vor sich auf dem Tisch aufgestützt und die Finger ineinander verschränkt, »und seit der Geschichte mit meinem Mann sowieso nicht.« Trotzdem gebe es auch heute noch Tage, wo sie an ihrem Mann zweifele und ihn frage, ob er sicher sei, dass er die Taten nicht begangen habe. Doch Egidius S. wisse, dass er sie nicht belügen dürfe, weil sie sich dann trennen würde.
Auf die Frage der Beamten, ob es noch mehr Opfer gebe, habe S. gesagt: »Nein, ich habe nur diese fünf Sachen gemacht«, fügt Harbort an. Ob ihr Mann da wieder gelogen habe?
»Weiß ich nicht«, antwortet ihm die Frau, »von diesem Gespräch weiß ich nichts.« Anke S. hält sich jetzt selbst fest. Ihre beiden Hände umklammern jeweils die Oberarme kurz über den Ellenbogen, während sie zuhört. Man nennt diesen Griff in der Körpersprache beidseitige Armklammer und er deutet auf Abwehr und Schutzbedürfnis hin. Anke S. fühlt sich in die Enge getrieben. Ab und zu schließt sie die Augen, so als möchte sie das, was der Profiler ihr sagt, nicht mehr hören.
Wieder kehren wir in die JVA Aachen zurück. Harbort will S. nun persönlich kennen lernen und ihn dazu bringen, dass er seiner Frau die Wahrheit sagt. Egidius S. hat sich auf Wunsch seiner Frau bereiterklärt, mit dem Fallanalytiker zu sprechen. Zu dritt nehmen sie am Tisch in der Besuchszelle Platz. Harbort, der davon überzeugt ist, dem Mann ein Geständnis entlocken zu können, bittet um ein Gespräch unter vier Augen. Die Kamera zeigt, wie die beiden Männer miteinander sprechen – ohne Ton. Draußen erklärt Anke, dass sich ihr Mann nicht einfach so in die Karten schauen lasse.
Das Gespräch dauert eine Stunde. Anke S. wartet auf dem Gang. Wird sie gleich von ihrem Mann selbst hören, dass er tatsächlich der Serienmörder ist? Wird Egidius S. die Taten endlich zugeben? Dann weint sie. Eine Welt werde für sie zusammenbrechen, sagt sie.
Ist die Verzweiflung der Frau echt? Bedenkt man das Theater, was sie zwei Jahre vorher während des Prozesses aufgeführt hat, kommen einem nüchternen Beobachter zumindest leise Zweifel.
Dann ist das Gespräch beendet. Anke S. kehrt in den Raum zurück. S. hat nichts gestanden. Noch einmal redet Harbort auf ihn ein, bittet ihn, seiner Frau zuliebe die Wahrheit zu sagen, das, was seine Frau aushalten müsse, sei außergewöhnlich.
S. beteuert, dass seine Frau die freie Wahl habe. Dann umarmt er seine Frau, küsst sie und flüstert ihr etwas ins Ohr. Nicht jedoch die Wahrheit über seine Taten. Die kann und will er noch immer nicht zugeben.
Anke S. wird ihren Mann weiterhin besuchen. Sie will ihren Glauben an seine Unschuld mit aller Macht behalten.
Am 11. April 2010 tötet in der Justizvollzugsanstalt Remscheid ein verurteilter Mörder, der unter anderem einer Neunjährigen den Schädel eingeschlagen hat, seine Freundin in einer der Langzeitbesuchszellen. Der Gefangene hat zwei Messer und einen Radmutternschlüssel in den Besucherraum geschmuggelt. Justizbeamte finden die 46-Jährige fast nackt, ihr wurde der Schädel eingeschlagen, sie hat vier Stiche in der Brust und Würgemale am Hals.
Serienmord in Deutschland
Eins: 1983
Der 29. Juli 1983 ist ein schöner Tag, nicht zu heiß; gerade so, dass es mit fast 25 Grad am Mittag zu einem warmen Sommertag reicht.
Alsdorf ist eine kleinere Stadt mit etwa 45000 Einwohnern ein paar Kilometer nördlich von Aachen, ganz weit im Westen, fast an der Grenze zu den Niederlanden und Belgien. Die
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