Dem Pharao versprochen
laufen können. Aber genauso schlimm sind die Verletzungen an seinem Kopf. Sinuhe vermutet, dass er dort innere Blutungen hat. Er hat sich schon mit den anderen Ärzten beraten, ob er den Schädel aufbohren und das Blut zum Abfließen bringen soll. Das ist ein lebensgefährlicher Eingriff, und die anderen Ärzte waren dagegen. Sie wollen nicht leichtfertig mit dem Leben eines Pharaos umgehen.
Ich sitze Tag und Nacht neben Tuts Bett und warte darauf, dass er die Augen aufschlägt und mich ansieht. Er wirkt so jung, wie er daliegt. Wenn er zugedeckt ist, könnte man meinen, dass er nur schläft. Aber er ist bleich, sehr bleich.
Manchmal halte ich seine Hand, die sich abwechselnd kühl oder heiß anfühlt. Fieberschübe quälen seinen Körper. Sinuhe meint, dass das Fieber von seinen Knien ausgeht, weil sich die Wunden entzündet haben. Das Gift, das dabei entsteht, könnte den ganzen Körper befallen.
Das Volk bangt um das Leben des Pharaos. Unermüdlich besuchen die Untertanen den Amun-Tempel, bringen dem Gott Opfer und beten um Tuts Gesundheit. Ob die Gebete Wirkung zeigen werden?
Ich wünsche mir so sehr, dass Tut die Augen aufschlägt und mich erkennt. Ich möchte mit ihm reden, weil noch so viel Unausgesprochenes zwischen uns steht. Manchmal zucken seine Lider oder ich sehe, wie er darunter die Augäpfel bewegt. Träumt er? Wo ist er gerade, was erlebt er?
Ab und zu streichele ich sein Gesicht. Ich stelle mir vor, wie es gewesen wäre, wenn ich ihm einen Thronfolger geboren hätte. Hätte das unsere Ehe gerettet? Ich weiß es nicht …
Die Ärzte flüstern miteinander, aber sie beziehen mich nicht in ihre Überlegungen mit ein. Tuts Zustand bessert sich nicht, im Gegenteil. Obwohl es niemand ausspricht, wird immer deutlicher, dass er sterben wird. Ich kenne die Anzeichen des Todes: Die Nase wird spitz, die Augen sinken tief in die Höhlen zurück und um Mund und Nase zeichnet sich ein weißes Dreieck ab. All diese Zeichen sind bei Tut zu erkennen, sie treten Stunde für Stunde deutlicher hervor. Seine Hände sind inzwischen eiskalt, obwohl er ab und zu noch immer Fieberschübe hat und dann kalter Schweiß seinen Körper bedeckt.
Eje sitzt stundenlang neben mir. Er kommt lautlos herein und setzt sich. Wir wechseln kein Wort. Manchmal höre ich, wie er schwer atmet oder einen Seufzer unterdrückt. Dann steht er auf und geht wieder hinaus. Genau wie ich weiß er, dass Tut sterben wird. Es fällt ihm bestimmt schwer, seinen Tod zu akzeptieren, denn Eje liebt Tut wie seinen eigenen Sohn. Er hat es mir einmal gesagt.
Ich bin innerlich wie erstarrt. Ich wünsche mir so sehr, dass die Ärzte Tut retten, obwohl ich weiß, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Geschieht noch ein Wunder, das den Tod abwendet?
Ich komme mir so hilflos vor. Ich sitze zwar an Tuts Bett, aber ich kann nichts für ihn tun. Ob er merkt, dass ich in seiner Nähe bin? Spürt er meine Anwesenheit?
In Gedanken rede ich mit ihm. Ich sage ihm, wie sehr es mir leid tut, dass wir nicht besser miteinander ausgekommen sind. Und ich entschuldige mich auch bei ihm, dass ich ihm keinen Thronfolger geboren habe, selbst wenn Imara gemeint hat, dass es vielleicht an Tut gelegen hat.
Ach, würde er nur ein einziges Mal die Augen aufschlagen und sagen: »Anchi, es ist alles gut!« Dann könnte ich ihn viel leichter gehen lassen.
Aber er liegt nur reglos da. Sein Atem geht jetzt rasselnd. Zwischendrin stockt das Geräusch, dann setzt es wieder ein.
Ich warte.
Irgendwann wird es still im Raum werden.
Bald.
Sehr bald.
10. Kapitel Der Pharao ist tot!
Tutanchamun starb am sechsten Tag nach dem Un- fall, ohne dass er ein einziges Mal das Bewusstsein zurückerlangt hatte. Der Morgen graute, und draußen begannen die Vögel zu zwitschern, als er mit einer Art Seufzen seinen letzten Atemzug tat.
Anchesenamun war die ganze Zeit bei ihm gewesen. Seit Stunden hatte sie sich nicht mehr von seinem Lager wegbewegt, weil die Ärzte vorausgesagt hatten, dass Tut die Nacht nicht überleben würde. Sie war ganz steif von dem angestrengten Stillsitzen und Lauschen auf seine Atmung. Ihre Augen brannten vom fehlenden Schlaf.
»Es ist vorbei«, sagte Sinuhe, der mit drei weiteren Ärzten das Gemach betreten hatte. »Sein Leiden hat nun ein Ende. Möge der Pharao eine glückliche Reise ins Jenseits antreten!«
»Es ist vorbei!«, flüsterte Selket ebenfalls, die hereingeschlüpft war und sich an Anchesenamun drängte. »Er hat es überstanden. Du kannst jetzt nichts
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