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Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos
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geschossen, ihn aber verfehlt, und der hat daraufhin ihn erschossen?
    Antwort: Nein.
    Bei der Leichenschau hatten wir uns als Erstes die Einschusswunde an der linken Brustvorderseite genauer angesehen. Die Wunde hatte einen Durchmesser von drei Zentimetern mit einer
    »saumartigen Wundrandvertrocknung«,
    die teilweise von schwarzgrauen Ablagerungen bedeckt war. Dies war Pulverschmauch, der beim Abfeuern der Waffe aus der Mündung des Laufes entweicht. Er ist nur dann an der Einschusswunde nachweisbar, wenn die Waffe beim Schuss nicht weiter als etwa 50 Zentimeter vom Einschusspunkt entfernt war. Ist die Distanz zwischen Waffenmündung und Körperoberfläche größer, gibt es kaum mehr Anzeichen von Pulverschmauch auf der Haut oder der Kleidung. Damit war schon zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen, dass Otto Wächter von einem entfernt stehenden Täter erschossen wurde. Er musste also aus nächster Nähe erschossen worden sein.
    Die Eintrittswunde des Projektils wurde an der linken Brustvorderseite, 126 Zentimeter oberhalb der Ferse, lokalisiert. Das Bleiprojektil war auf der Körperrückseite wieder ausgetreten, zehn Zentimeter rechts der Wirbelsäule in einer Höhe von 121 Zentimetern. Der Schusskanal verlief von links vorne oben nach rechts hinten unten, gering absteigend, in einem Winkel von fünf Grad.
    Schusskanaluntersuchungen gehören bei Obduktionen zum Standard, denn die Resultate helfen der Kriminalpolizei, den Unfall- oder Tathergang zu rekonstruieren. Dabei werden verschiedene Szenarien durchgespielt, wie es zu dem jeweiligen Schusskanalverlauf gekommen sein könnte.
    Frage: Hat Otto Wächter schon vor dem Ansitzwagen gelegen, als er getroffen wurde?
    Antwort: Nein.
    Uns schien es am wahrscheinlichsten, dass Otto Wächter von dem Projektil im Stehen erfasst worden war und er dann rücklings auf den Boden gefallen war. Was sich später auch als wahr herausstellte.
    Frage: Ist Otto Wächter durch sein Gewehr getötet worden?
    Antwort: Ja.
    Nachdem wir bei der Obduktion die Brust- und Bauchhöhle geöffnet hatten, sahen wir die typischen Folgen eines Schusses mit Flintenmunition: Die siebte linke Rippe des Mannes und Teile des Brustbeins waren zerschmettert, Herzbeutel, rechte Herzkammer, Herzkranzschlagadern, Zwerchfell, Magen, Leber, linke Niere und Bauchspeicheldrüse vollkommen zerrissen. In der Bauchhöhle befand sich mehr als ein Liter Blut. In der Brusthöhle fanden sich Teile von Rippen und Brustbein, deren Splitter überall verstreut waren.
    Flintenmunition vom Kaliber 16/67,5 richtet durch die außergewöhnliche Größe des Projektils innerhalb von Bauch- und Brusthöhle derartig viel Schaden an, dass meist wegen des hohen Blutverlusts und der Zerstörung lebenswichtiger Organe keine medizinische Hilfe mehr möglich ist.
    Todesursache: Brustkorb-Bauch-Durchschuss; der Tod war sofort eingetreten. Was für einen bis zu sieben Tonnen schweren Elefanten tödlich ist, ist erst recht für einen Menschen »nicht mit dem Leben zu vereinbaren«, wie wir Rechtsmediziner sagen.
    Mord in Verbindung mit der Jagd ist nicht so ungewöhnlich, wie es klingt. Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem zwei Männer einen 44-jährigen Jäger ermordet hatten, um an sein Gewehr zu kommen und mit dieser Waffe weitere Straftaten begehen zu können. Solch einen Waffenraub konnten wir hier aber ausschließen, die Waffe lag ja noch am Tatort.
    Frage: Aber war es überhaupt Mord?
    Antwort: Nein.
    Außer den Fingerabdrücken von Otto Wächter gab es keine anderen Fingerabdrücke an der Waffe. Doch konnte der Mörder natürlich Handschuhe getragen haben. Allerdings waren an der Leiche von Wächter keinerlei Gewalteinwirkungen zu sehen, abgesehen von den Folgen des tödlichen Schusses. Hätte sich jemand gewaltsam dem Jäger genähert und versucht, ihm die Waffe zu entreißen, hätten wir Spuren eines Kampfes finden müssen. Auch das war nicht der Fall. Laut eigener Aussage hatte der nur dreihundert Meter weit entfernte Mertens in dieser stillen Nacht weder Hilferufe noch Kampfeslärm oder andere ungewöhnliche Geräusche gehört.
    Dass Otto Wächter vielleicht betäubt und dann erschossen worden war, konnten wir bald nach der Obduktion zweifelsfrei ausschließen: Die chemisch-toxikologische Untersuchung ergab keinen Nachweis von Alkohol, Drogen oder Medikamenten, die den Mann handlungsunfähig oder bewusstlos gemacht haben könnten.
    Frage: Wollte sich Otto Wächter das Leben nehmen?
    Antwort: Nein.
    Das hatte auch niemand der

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