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Dem Tod auf der Spur

Titel: Dem Tod auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos
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Ermittler ernsthaft in Betracht gezogen. Zu viele Indizien sprachen dagegen. Suizid-Anwärter schießen sich selten in die Brust. Menschen, die sich mit einer Flinte oder einem Gewehr dasLeben nehmen, legen oder setzen sich meist auf den Boden und schießen sich in den Mund – so wie Kurt Cobain, der Sänger der Band Nirvana, im Jahr 1994.
    Bei den wenigen Fällen, bei denen sich jemand doch in die Brust schießt, zieht er oder sie in der Regel zuvor den Pullover hoch oder öffnet das Hemd oder die Bluse, offensichtlich in der (allerdings irrigen) Annahme, dass die Kleidung den Schuss abdämpfen könnte.
    Die Untersuchung der Organe und die medizinische Vorgeschichte sowie die Angaben der Ehefrau von Otto Wächter lieferten keine Erkenntnisse, die auf ein Motiv für einen Suizid schließen lassen konnten. Häufig nehmen sich Menschen das Leben, die unheilbar an Krebs erkrankt sind oder anderen schweren Krankheiten, insbesondere Depressionen, leiden. Zwar litt Otto Wächter an einer fortgeschrittenen Arteriosklerose, und wir stellten bei der Obduktion eine Herzvergrößerung sowie die Narben eines früheren Herzinfarktes fest; doch sind diese Krankheiten für einen 78-jährigen Mann durchaus normal – nahezu 90 Prozent dieser Altersgruppe leiden an ähnlichen Beschwerden – und sicher nicht so unerträglich, dass sich jemand deswegen das Leben nehmen würde. Auch beschrieben der Jagdfreund und die Ehefrau den Verstorbenen als einen fröhlichen und lebenslustigen Menschen.
    Das stärkste Indiz jedoch lieferte die Obduktion: Wie bereits erwähnt, wies die Einschusswunde Schmauchspuren auf, ein Fernschuss kam also nicht in Frage. Ebenso wenig war Otto Wächter aber aus unmittelbarer Nähe von dem Projektil getroffen worden. Der Grund: Wird die Waffe beim Abfeuern auf der Körperoberfläche aufgesetzt – in der Ballistik und Kriminaltechnik heißt das »point blank«  –, dringen die Pulverbestandteile durch den Schusskanal direkt in das Gewebe ein, hinterlassen auf der Haut aber nur wenig Spuren. Das gilt noch bis zu einer Entfernung von zehn Zentimetern. Doch bei Otto Wächter fanden wir zwar Pulverablagerungen, aber die gab es nur auf der Haut, nicht im Gewebe.An der Beschaffenheit der Einschusswunde ließ sich erkennen, dass der Schuss aus einer Entfernung von etwa 40 bis 60 Zentimetern abgefeuert worden war. Das nennt man in der Ballistik einen »relativen Nahschuss«. Durch die Länge des Gewehrlaufs ist es aber völlig unmöglich, bei einer solchen Distanz den Schuss selbst auszulösen – dafür sind die Arme schlicht nicht lang genug. Die Entfernung hätte höchstens zehn Zentimeter betragen dürfen.
    Frage: Wenn es kein Mord war und auch kein Suizid, war es also ein Unfall?
    Antwort: Ja.
    Frage: War das Gewehr defekt, und als der Jäger auf ein Wildschwein schießen wollte, ist der Schuss »nach hinten losgegangen«?
    Antwort: Nein.
    Schusswaffen sind generell von hoher handwerklicher Qualität, und auch die Statistik belegt, dass Todesfälle mit Jagdwaffen fast ausnahmslos auf menschliches Versagen und nicht auf technische Defekte der Waffe zurückzuführen sind. Der berühmte Schuss, der nachhinten losgeht, oder ohne Vorwarnung explodierende Schusswaffen finden sich in der Welt der Actionfilme oder Cartoons, nicht aber in der Realität.
    Menschliches Versagen bei der Jagd ist dagegen nichts Ungewöhnliches. Bei der Hobbyjagd kommt es recht häufig zu tödlichen Unfällen – beim Laden und Entladen ebenso wie beim Herumfuchteln mit einer ungesicherten Waffe. Nicht immer trifft es dabei den Jäger selbst, oft stirbt auch ein Jagdkamerad oder ein Unbeteiligter.
    Ich erinnere mich an einen Jäger, der mit ungesicherter Waffe auf Neuschnee ausrutschte, wobei sich ein Schuss löste und seinen Jagdkumpan in den Kopf traf. Ein anderes Mal lief ein schlecht erzogener Jagdhund unaufgefordert einem Kaninchen hinterher, das aus seinem Bau hervorsprang. Dabei verhedderte sich die Hundeleine an den Beinen des Jägers, der fiel zu Boden, ein Schuss löste sich und traf ebenfalls einen anderen Jagdkumpan in den Kopf.
    In unserem Fall allerdings musste der Lauf der Waffe mindestens 40 Zentimeter vom Einschussloch in der Brust entfernt gewesen sein, als sich der Schuss daraus löste. Es war also völlig unmöglich, dass Otto Wächter aus Versehen am Abzug herumgefummelt und sich dann ein Schuss gelöst hatte. Wenn es aufgrund der Schussentfernung und der Gewehrlänge für Otto Wächter unmöglich war, den

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