Demonica: Versuchung der Nacht (German Edition)
über die Wut.
Im Licht existierte nichts als das Gefühl der Schwerelosigkeit. Es gab kein Zeitempfinden, weder Hitze noch Kälte; nichts als ein Gefühl des Friedens. Dann stand Idess auf einmal in einem Pavillon aus weißem Marmor, inmitten der schönsten Welt, die sie je gesehen hatte. Es war, als ließen Wolken aus Watte Diamanten über Felder von smaragdgrünem Gras und rubinroten Rosen regnen.
Nicht in ihren kühnsten Träumen hätte sie sich etwas Derartiges vorstellen können.
Nett, hierher zu Besuch zu kommen, aber leben möchte ich hier nicht. Nein, sie bevorzugte die dampfenden Wälder North Carolinas, McDonald’s und in Leder gekleidete Dämonen.
Zu ihrer Linken standen vier Engel, zwei weibliche und zwei männliche, allesamt in feierliche Gewänder gehüllt. In karminrot. Interessante Farbwahl. In ihren Händen hielten sie goldene Sensen.
Offensichtlich war dies der Rat der Memitim. Und keiner von ihnen wirkte besonders glücklich.
Als sich Idess in einer tiefen Verbeugung auf ein Knie sinken ließ, merkte sie erst, dass sie ebenfalls ein solches Gewand trug, das sich um ihre Füße sammelte wie eine Blutlache.
»Steh auf.« Eine männliche Stimme zwang sie wieder auf die Füße. »Weißt du, warum du hierher gebracht wurdest?«
»Zur Verurteilung«, erwiderte sie. »Weil ich bei meiner Prüfung versagt habe.«
Die Frau mit dem kastanienbraunen Haar schüttelte den Kopf. »Du hast nicht versagt.«
Idess runzelte die Stirn. »Aber Lore. Ich hatte mit ihm Verkehr.« Ich bin mit ihm verbunden. Allerdings vermochte sie ihn nicht zu fühlen. Sie warf einen verstohlenen Blick auf ihre Hand, auf der immer noch seine Markierungen zu sehen waren. Vielleicht waren sie nach wie vor verbunden, nur dass ihre Verbindung unterbrochen war, so als würde man mit einem Handy in einem schlechten Netz telefonieren?
»Er war nicht deine Prüfung.«
Idess zog das Gewand enger um den Leib. »Ich verstehe nicht. Selbst wenn er nicht meine Prüfung war, ist es denn nicht verboten, einen Mann auf so intime Weise zu kennen? Geschweige denn einen Dämon?«
»Es gibt Ausnahmen, wenn das Ergebnis positiv ist.«
Jetzt war sie erst recht verwirrt. »Das Ergebnis?«
»Die Prüfung war deine Selbstlosigkeit. Nachdem du deinen Bruder hintergangen hattest, mussten wir uns vergewissern, dass du dich weiterentwickelt hast. Und das hast du. Indem du für das übergeordnete Wohl aufgegeben hast, was dir am wichtigsten war, deine Aszension, hast du deinen Wert bewiesen. Du wusstest, was dich der Geschlechtsverkehr mit dem Mischling kosten würde, doch du hast es gleichwohl getan, um in Rariels Versteck vordringen zu können. Indem du ihn getötet hast, hast du den Vertrag zunichte gemacht und Kynan das Leben gerettet.«
»Gar nicht übel, Idess«, erklang Reavers grollende Stimme hinter ihr. Er stand an eine Säule gelehnt da, Arme und Knöchel lässig überkreuz. »Ich dachte, ich komm kurz vorbei, wenn du endlich deine Flügel bekommst.«
»Flügel?« Ihre Stimme war kaum zu hören, selbst in ihren eigenen Ohren. So viele verschiedene Gefühle auf einmal: Freude, Ekstase … und Panik. Auf diesen Augenblick hatte sie zweitausend Jahre lang gewartet. Hatte tagelang davon geträumt. Ihn sich in allen Einzelheiten ausgemalt.
Und sie würde alles auf der Stelle aufgeben, wenn sie nur auf die Erde zurückkehren könnte.
»Flügel«, wiederholte der blonde Memitim. »Dir werden neue Pflichten übertragen werden, denn aufgestiegene Memitim sind keine Wächter. Wir sind Richter.«
Rami hatte ihr einmal erzählt, dass Schutzengel böse Menschen verließen, die anschließend von Memitim zum Tode verurteilt wurden. Toll. Fein. Aber sie wollte den Job nicht länger haben.
»Aber … gibt es denn gar keine Strafe dafür, dass ich Rami hintergangen habe? Wenn ich nicht wäre, wäre er nicht gefallen.«
Der Blonde schnaubte. »Er hat seine Prüfung nicht bestanden. Wir hätten ihn niemals aufnehmen dürfen.«
Idess starrte die Engel fassungslos an. »Aber er hat bestanden. Er hat mit der Frau nicht geschlafen.«
»Doch, das hat er«, sagte der Mann. »Was glaubst du, warum er so lange vor dem Licht der Vorladung davongelaufen ist?«
»Um bei mir zu sein … « Sie verstummte. Unter dem mitleidigen Blick des Memitim fühlte sie sich wie eine Närrin.
»Er kam mit einem Makel auf der Seele zu uns.« Die Frau mit dem rotbraunen Haar sah den Blonden vielsagend an, sodass Idess wusste, dass er auf irgendeine Weise eine Rolle in dieser
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