Demudis
Abt Hanß mürrisch.
*
Köln, Hosengasse, am Vormittag des 30.1.1327
Nach dem Aufstehen und Waschen buk Demudis einträchtig mit Schwester Lora und Schwester Jutta dunkles Sauerbrot und besorgte die Wäsche. Beides nicht nur für sich, sondern auch für Salomo, den alten Gewandmacher, der bis vor kurzem deren Gildemeister gewesen war, aber nunmehr so hinfällig, dass er der barmherzigen Hilfe der Beginen bedurfte.
Salomo bewohnte noch sein Haus in der Hosengasse. Seine Werkstatt aber verfiel. Seinem erstgeborenen Sohn war es in Köln zu eng geworden, und so hatte er Vater und Mutter verlassen, um in Mailand oder Florenz sein Glück zu machen. Der zweite Sohn hatte sich Fahrensleuten angeschlossen und ward ebenfalls nicht mehr gesehen. Die Töchter waren gut in der Auswahl ihrer Gat ten vorgegangen, aber keiner der Schwiegersöhne scherte sich um Salomos kleine Schneiderei, da jeder seinem eigenen Handwerk nachging. Als Salomo zu lahmen begann, hatte seine Frau Liebirath noch dann und wann Flicken für die Nachbarn eingesetzt. Im vorletzten Winter verstarb sie plötzlich, und die Werkstatt verwaiste vollends. Salomo brütete dumpf vor sich hin und wäre wohl verhungert, wenn nicht Demudis ihm zur Hilfe gesandt worden wäre.
Das war sie ihm schuldig. Auf dem Weg von der Stolkgasse, wo sich der Beginenkonvent an der Seite des Predigerklosters zwischen den Häusern der Stuhlmacher befand, in die Hosengasse dachte sie daran. Sie zwängte sich durch die Öffnung in der alten Mauer und kam über die Mariengasse in die Rosengasse, in der sich das Barfüßerkloster befand. Die Häuser wie die Gassen der ganzen Stadt lagen unter einer dichten Schneedecke. Das Dach des linken Flügels des Barfüßerklosters hatte unter der weißen Last etwas nachgegeben. Flüchtig betete Demudis für die Brüder, dass es nicht einstürzen möge. Manchmal meinte sie, es wäre wahrlich leichter, wenn sich der Beginenkonvent den Barfüßern und nicht den Predigern angeschlossen hätte, weil die Barfüßer anders als die Prediger viel weniger Unannehmlichkeiten mit dem ehrwürdigen Vater und Herrn Erzbischof, dem Obolifresser, hatten. Vielleicht bekämen die Barfüßer aber die gleichen Unannehmlichkeiten, wenn sie die Beginen betreuen würden. Denn allzu oft ging es um die Beginen, weil sie dem Weltklerus ein Dorn im Auge waren … Nein, sie wollte sich ja den Tag nicht verderben lassen und zwang sich, wieder an Salomo zu denken. Sie freute sich auf den Besuch. Wenn er nicht verwirrt war, konnten sie sich dem Schachzabel hingeben, dem Spiel der Sarazenen.
Sie musste ihm so dankbar sein. Dass sie bei den Beginen ein Auskommen gefunden hatte, war sein Verdienst. Demudis blickte sich fröhlich um und betrachtete das bunte Treiben in den Gassen. Einige Leute grüßten sie freundlich, weil sie an ihrer sandfarbenen Tracht unschwer als Begine zu erkennen war. Die Beginen standen bei vielen Leuten in hohem Ansehen, obwohl Demudis auch schon das Gegenteil gehört hatte. Heute aber waren die, die sie traf, ihr wohlgesinnt. Manch einer steckte ihr ein Almosen zu, und sie sprach ein kurzes Gebet.
Sie hatte es so viel besser als früher, trotz der schlimmen Zeit, die sie dafür durchleben musste. Alexander war kein schlechter Mann gewesen, gewiss nicht, sie konnte beim besten Willen keine Klage wider ihn führen. Es ließ sich nicht in Worte fassen. Es war da nur eine große Leere, wenn sie zurückdachte. Alexander war ein tüchtiger Tuchmacher gewesen, genau wie ihr Vater, und sicherlich hätte er genug verdienen können, um eine Familie zu ernähren, wenn sie nur hätte Kinder bekommen können … Und dann hatte ihr Theoderich Oasterseye, der Geselle von Salomo, Gewalt angetan. Bei der Erinnerung war ihr, als träte sie aus ihrem Körper heraus und betrachte sich selbst, wie sie da, blutverschmiert, in der Werkstatt gelegen hatte. Warum war sie dort gewesen? Sie wusste es nicht mehr. Wahrscheinlich hatte sie ein Kleid abholen wollen. Theoderich Oasterseye hatte gemeint, der Herr sei auf dem Tuchmarkt, aber Salomo war umgekehrt, weil er seinen Beutel mit Münzen vergessen hatte. Nur so war es möglich gewesen, die Schuld von Theoderich Oasterseye unzweifelhaft zu bezeugen.
Als ihr Gatte Alexander von der Schändung erfuhr, geriet er außer sich. Demudis hatte nie etwas Ähnliches gesehen, und sie wünschte sich, dass dies so bliebe. Er wollte für ihre Ehre einstehen, und das sollte sie ihm hoch anrechnen, aber er war Theoderich
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