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Demudis

Demudis

Titel: Demudis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Blankertz
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unter mir, und ich sank in das unendliche Dunkel der tiefsten Hölle. Mein Gemahl aber, der Treueste unter allen, treuer, als je ein Mensch sein kann, folgte mir nach, wie es ihm gebührt, um mir beizustehen. Sein Platz aber …«
    Schwester Mathilde unterbrach sich und musste mit dem Handrücken erneut hervorquellende Tränen abwischen. »Sein Platz aber ist im Himmel. Und dergestalt wies ich ihn von mir und sagte ihm, er müsse mich verlassen.«
    Hanß nickte. »Wenn das göttliche Liebesglück am allerschönsten ist, dann muss man es lassen.« Wer wusste das besser als er, der allein war mit seinen Erinnerungen an Uda, seine Mutter? … Schwester Mathilde ergriff beide Hände von Hanß, der fühlte, dass sie an den Weibern gutmachte, was er ihnen in Gestalt seiner Mutter an Schande gebracht hatte. »Bruder, du kannst ermessen, welchen Verzicht ich geleistet habe. Welchen Verzicht ich leisten konnte, um lebendig zu sterben. Lasset uns dem Herrn danken!«
     
    *
     
    Köln, Predigerkirche, am Nachmittag des 5.2.1327
     
    Es war eisig wie eh, doch der Himmel erstrahlte freundlich in hellstem Blau. Das gleißende Licht blendete, sobald man das Haus verließ. Magistra Sela hatte gebeichtet. Bei ihr war das Beichten stets ein besonderer Vorgang, nicht weil sie keine Sünden beging, sondern weil ihr Beichtvater nicht sprach. Bruder Johannes hatte vor vielen Jahren ein Schweigegelübde abgelegt und hielt es strikt ein. Man erzählte sich, dass er ein Weib, das sich des Mordes an zwei seiner Brüder schuldig gemacht hatte, vom Henker abgebeten und dafür sein Schweigen eingetauscht habe. Gab es etwas Heiligeres, als dem Mörder seiner Brüder oder Schwestern zu vergeben und ihn vor dem fürchterlichen Tod zu bewahren? Sela konnte es sich nicht vorstellen.
    Sie war schon zu Bruder Johannes gegangen, bevor sie sich den Beginen angeschlossen hatte in jenem unheilvollen Jahr vor mehr als zehn Wintern, als es so kalt gewesen war, dass noch im Juni Schnee lag und viele starben, so auch ihr geliebter Gatte Baruch. Baruch. Sie hatte wieder in der Nacht an ihn gedacht und wollte sich dafür die Strafe des Fastens auferlegen. Denn da Bruder Johannes nicht sprach, beichtete sie nicht nur ihre Sünden, sondern schlug auch die Pein vor, die sie sich damit verdient habe. Wenn Bruder Johannes einverstanden war, klopfte er gegen den Beichtstuhl. Sela liebte diesen dumpfen Klang. Aber heute hatte Bruder Johannes nirgends geklopft, als sie die verschiedenen Dinge sagte, die sie leisten könnte, um ihre Sünde nachgelassen zu bekommen. Er klopfte erst, als sie verzweifelt sagte: »Ehrwürdiger Vater, mir fällt nichts mehr ein. Sollte die Sünde mir dennoch nicht angerechnet werden dürfen?« Es war demnach keine Schuld darin, sich ihres fleischlichen Gemahls zu erinnern. Sela dankte der Mutter Maria, der seligsten unter den Weibern, die dies, so war sie sicher, für sie erwirkt hatte.
    Sela dachte gerührt an ihre beiden Kinder, die überlebt hatten, an Blanza, die zuerst geboren worden war und die nun in Mainz lebte neben ihrem Gatten, dem Kaufmann Weinhold. Ob Dagobert inzwischen ein Weib gefunden hatte, wusste sie nicht. Er war nach Salerno gegangen, um dort Arzt zu werden. Überaus weit war das entfernt, und entsprechend spärlich kamen Nachrichten von ihm. Was gäbe sie darum, von ihm zu hören! Dass die beiden ebenso wie Anselm, der kurz nach der Geburt gestorben war, getauft werden konnten, hatte sie niemand anderem als Bruder Johannes zu verdanken. Pfarrer Marquard von der Lahn, zuständig für ihre Gemeinde, wollte es ihnen verweigern, denn Baruch war Jude. Als Lehrer und Arzt war Baruch Levi in ihrem Elternhaus, dem Ratsgeschlecht der Kones, ein und aus gegangen. Er war stets gern gesehen und hatte ihren Geschwistern und ihr redlich Lesen, Schreiben, Rechnen und Grammatik beigebracht. Aber als Gatten wollten sie ihn nicht dulden. Die Mutter, Druda von der Lintgasse, hatte aufs Heftigste geweint, nachdem sie erfahren hatte, wen ihre Tochter zu freien beabsichtigte. Der Vater, Daniel Kone, war so weit gegangen, die Hand gegen sie zu erheben. Baruch war es bei seiner Sippe nicht besser ergangen. Die Levis verweigerten ihm das Erbteil, denn bei den Juden wird die Religion über die Mutter weitergegeben: Baruchs Kinder mit Sela würden keine Juden sein können.
    Auch die Kones versuchten, ihrer Tochter den Anteil am Erbe streitig zu machen, aber das erzbischöfliche Gericht, damals noch durch Siegfried von Westernburg geleitet, Gott

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