Demudis
Unvermeidliche feststellen musste. Im Schnee lag dort niemand anderes als Schwester Guta. Zwei Barfüßer hielten neben ihrer Leiche Wache und beteten. Ihnen war offensichtlich kalt, denn sie hüpften beim Beten von einem Bein auf das andere.
Sela sank neben Schwester Guta nieder und küsste ihre kalten Lippen. Ihr ganzer Leib war wie zu Stein gefroren.
»Es ist, als würdest du nur schlafen, Schwester Guta«, sagte Sela. Ihre Tränen tropften auf Schwester Gutas Gesicht und rollten ihr die Wange hinunter. Sie hinterließen kleine Löcher im Schnee.
»Nur der Herr kann sie wach küssen«, hörte Sela einen der Barfüßer sagen.
Bruder Dirolf hockte sich neben sie und wies mit dem Finger auf den Hals. »Seht her, Magistra. Die Würgemale. Sie ist ermordet worden. Das ist über jeden Zweifel erhaben. Wohin sollen wir sie bringen? Sie darf hier nicht liegen bleiben, schließlich war sie trotz allem eine christliche Seele. Und die Brüder können nicht ewig in der Kälte stehen.«
»Ins Totenhaus der Prediger«, beschied Sela mit erstickter Stimme. Bruder Dirolf war wahrhaftig ein Ausbund an Unbarmherzigkeit.
»Wohlan«, befahl Bruder Dirolf seinen Brüdern.
Sie packten die Leiche und trugen sie davon. Sela dagegen konnte sich lange nicht erheben. Sie verharrte und gab sich ihrer Trauer hin, ohne die Kälte zu spüren.
Von augenscheinlicheren Zeugnissen
Die suchende Minne gehört allein sich selber an.
Mechthild von Magdeburg
Köln, Konvent der Bela Crieg,
am Spätnachmittag des 5.2.1327
Demudis war gerade dabei, in der Küche den Sauerteig für das neue Brot anzusetzen, als Magistra Sela eintrat. Das blanke Entsetzen stand in ihrem Gesicht, und sie wirkte so eingefroren wie der Rhein, sowohl äußerlich als auch innerlich.
»Was ist geschehen?«, fragte Demudis. »Ist dir ein Teufel über den Weg gelaufen?«
»Schwester Guta«, antwortete Magistra Sela tonlos. »Sie ist … tot.«
»Nein«, hauchte Demudis und dachte, dass sie wohl den gleichen Gesichtsausdruck wie ihre Magistra angenommen habe. Es war ihr ähnlich, wie wenn sie daran erinnert wurde, was ihr der Gewandmacher Theoderich Oasterseye angetan hatte, als trete ihr Geist aus dem Körper und betrachte zwei fremde Weiber, die sich in der engen Küche des Konventes befanden.
»Doch. Friede ihrer Seele. Aber es kommt noch ärger«, sagte Magistra Sela.
»Noch ärger?« Demudis konnte und wollte das nicht annehmen.
»Sie ist gemeuchelt worden!«, brachte Magistra Sela mühsam heraus.
»Gemeuchelt?«, fragte Demudis fassungslos. »Ist es nicht schlimm genug, dass sie tot sein soll, musst du auch noch in Rätseln sprechen? Ich begreife es nicht! Nichts!« Die Heimlichtuerei von Schwester Guta, ging es ihr durch den Kopf, mit ihr musste es etwas zu schaffen haben.
»Nach der Beichte bei Bruder Johannes sprach mich ein Barfüßer an, ein gewisser Bruder Dirolf nämlich. Er faselte etwas davon, dass sie eine Leiche gefunden hätten, die Leiche eines Weibes, einer Begine, und dass sie nun suchten, zu welchem Konvent sie denn gehöre. Er führte mich also zu dem Fundort der Leiche, und als ich betrübt feststellen musste, dass es sich wahrhaftig um Schwester Guta handelte, hat er mir die Würgemale an ihrem Hals gezeigt. Ist das nicht schrecklich? Ich habe so lange dort im Schnee gesessen, lange nachdem die Barfüßer ihre Leiche schon weggeschafft hatten, ins Predigerkloster, wie es ihnen von mir befohlen worden war.«
»Wer hat ihr das angetan?«, fragte Demudis. Es war natürlich eine sinnlose Frage, denn wie sollte Magistra Sela die Antwort wissen?
Zu Demudis’ Überraschung antwortete die Magistra gleichwohl. »Bruder Dirolf behauptete mit großer Bestimmtheit, Hechard sei es gewesen, um seine Holde aus dem Wege zu schaffen, weil es herausgekommen sei, dass er eine habe.«
»Das ist eine gemeine, dreckige Lüge!«, kreischte Demudis unbeherrscht.
Magistra Sela hob abwehrend die Hände, als fürchte sie einen Angriff. Demudis merkte daran, wie sehr sie sich vergessen hatte und ungerecht grob gegen die Magistra geworden war.
»Ich gebe dir nur wider, was er gesagt hat«, sagte Magistra Sela fast entschuldigend.
»Wie kann dieser Bruder das wissen?« Demudis versuchte, ihren Zorn zu zügeln und nicht wieder den Eindruck entstehen zu lassen, er richte sich gegen die Magistra. Gegen wen richtete er sich? Wenn sie das nur wüsste, dann könnte sie handeln! Aber so waren ihr die Hände gebunden. Das ist zum Verrücktwerden, dachte
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