Demudis
wischen, aber am Ärmel hing noch Schnee, sodass es nur noch schlimmer wurde. Es fühlte sich an, als trüge ihr Gesicht eine Maske aus Eisen. Ich muss schnell ins Kloster, wo es wärmer ist, dachte sie. Es ist ja nicht weit. Auf der anderen Seite der alten Mauer ging sie etwas ostwärts und bog dann in die Mariengasse links ein, an der Rorengasse ein paar Schritte rechts befand sich der Eingang zum Barfüßerkloster.
Demudis klopfte an die Pforte und empfand Beklemmung. Das Kloster der Minoriten war dunkler als das der Prediger, und es erschien ihr fast drohend. Manche Beginen wählten sich auch die Barfüßer zur Seelsorge, aber sie waren strenger und achteten genauer auf die Einhaltung von Armut, Fasten, Keuschheit und Gehorsam. Hechard dagegen hielt die äußeren Werke der Selbstkasteiung nicht nur für unnötig, sondern angesichts des Seelenheils für schädlich. In der Predigt am letzten Sonntag, einen Tag vor Maria Lichtmess, hatte er gesagt, wenn eine auch bloß mit der rechten Gesinnung auf einen Stein träte, hätte sie mehr für ihr Seelenheil getan als diejenige, die das in den Leib und das Blut gewandelte Brot und Wein ohne dieselbe empfinge. Immer wieder rügte er Schwester Hardrun, wenn sie ihren Körper kasteite, und nannte dies eigensüchtig und geradewegs unkeusch. Aber selbst Schwester Hardrun ging nicht zu den Barfüßern, denn bei denen wusste man nie, was sie im Schilde führten. Der Herr Abt, Hanß mit Namen, galt als frommer und gottesfürchtiger Mann, und Schwester Mentha hatte er vor den Nachstellungen des teuflischen Erzbischofs Heinrich – o Gott, vergib mir die Sünde, so wenig demütig über meinen mir von deiner Allmacht zugewiesenen Hirten zu urteilen, dachte Demudis – bewahrt, und dafür mussten ihm alle Diener des Herrn dankbar sein.
Sie war in Gedanken abgeschweift, als der Torwächter ihr auf ihr Klopfen hin endlich die Luke in der Pforte öffnete und nach ihrem Begehr fragte. Es war ein greises, zerfurchtes Gesicht, das sich zeigte, und Demudis vergab dem Bruder seine Langsamkeit, obwohl sie kaum etwas weniger ertragen konnte. Geduld zählte nicht wirklich zu ihren Tugenden.
»Ehrwürdiger Bruder, Schwester Demudis ist mein Name, und ich komme vom Konvent der Bela Crieg am Predigerkloster.«
»Hm«, machte der Bruder, wobei Demudis nicht entscheiden konnte, ob es abschätzig gemeint war.
»Meine Magistra hat mit einem Eurer Brüder … ähm … gesprochen. Es geht um eine ernste Angelegenheit. Ich möchte ihn gern noch etwas fragen.« Demudis überlegte, welchen Namen Magistra Sek ihr genannt hatte. »Bruder Dirolf.«
»Über was gesprochen?« Der Bruder war so neugierig, dass er fast durch die Luke kroch.
Demudis hatte nicht daran gedacht, sich eine Ablenkung einfallen zu lassen. Bruder Dirolf jedenfalls musste Stillschweigen bewahrt haben über das Grausige, was er entdeckt hatte, denn sonst wüsste es der Torwächter bestimmt schon. Es war auch gut so, denn es würde nichts bringen, mit ihm die Bluttat zu besprechen. Es würde nur zu noch mehr Gerüchten führen.
»Entlaufene«, sagte Demudis hastig. »Eine der Unsrigen ist uns entronnen, und wir wüssten gern über ihren Verbleib.«
»Haha«, machte der Greis, ohne zu lachen. »So wird von Euch gesagt, dass es Euch nämlich an dem rechten Gehorsam gebricht.«
»Ich bitte Euch, Bruder, es ist wichtig.«
Der Alte zögerte. Dann sagte er: »Findet Euch in der Kirche ein, Schwester, und wartet dort. Ich werde Bruder Dirolf Bescheid geben.«
Er schloss die Luke bedächtig. Beim Vorlegen des Riegels gab es ein unangenehmes Klacken. Dann hörte Demudis langsam schlurfende Schritte, die sich entfernten.
Sie ging um die Ecke zum Eingang der Barfüßerkirche auf der Rosengasse. Es war dort nicht so warm, wie sie gehofft hatte, aber immerhin windgeschützt. Sie rieb sich die klammen Hände, um sie trocken zu machen. Das ganze dreigliedrige hohe Mittelschiff war durchflutet von dem bunten Licht, das die prachtvollen Fenster spendeten. Demudis ging zwischen den Rundpfeilern nach vorn in Richtung des Altars. Ihr Blick wanderte in die Höhe zu dem Kreuzrippengewölbe. Die Erhabenheit, die sich darin spiegeln sollte, stellte sich im Augenblick bei ihr nicht ein. In den Kreuzgängen waren die Barfüßer dabei, die Abschnitte des Leidensweges Christi an die Wand zu malen. Vor dem Schmerzensmann, der fast fertig gestellt war, blieb sie stehen. »Schmerzensmann« war nicht wirklich zutreffend. Fein und vornehm, fast schon
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