Demudis
Hechard half ihr auf. »Ich weiß, dass dies ein schlimmer Tag ist für Euch.«
»Der schlimmste überhaupt«, sagte Hechard. Nach einer Weile fügte er schwer atmend hinzu: »Aber, meine Tochter, sage weiter ›Bruder‹ zu mir.«
»Bruder«, setzte Demudis erneut an und setzte sich Hechard gegenüber auf einen der harten Schemel, »ich störe ungern deine Ruhe. Aber es geht um den Tod von Schwester Guta.«
»Um sie ist es mir so leid wie um den Glauben selbst«, brummte er dunkel. Draußen musste wohl die Sonne hervorgebrochen sein, denn helle Strahlen fielen durch die Scheibe und trafen Hechard ins Gesicht. Er musste die Augen zu schmalen Schlitzen machen, um nicht geblendet zu werden.
Wusste er etwas? Wenn ja, was? Nun ist es so weit, dass ich nicht einmal mehr dem vertrauen kann, dem ich am meisten von allen vertraut habe, dachte Demudis traurig und fühlte sich verlassen. »Du weißt, Bruder, was man über dich sagt?«
Hechard nickte stumm.
»Über dich und Schwester Guta?«, wurde Demudis deutlicher.
Aber Hechard blieb stumm.
»Die Barfüßer, die sie gefunden haben, beschuldigen dich. Wie kannst du da gelassen bleiben?«, ereiferte sich Demudis, die spürte, wie das Misstrauen in ihr langsam immer höher stieg.
»Muss ich mich mit lügnerischen Hunden abgeben?«, fragte Hechard schließlich.
»Vielleicht ja«, sagte Demudis unbarmherzig. Sie musste ihn zum Reden bringen! »Zumal sie nur die Überbringer der Anklage waren. Vielmehr handelt es sich um einen Prediger, von dem die –«, Demudis erstickte fast, als sie sich zwang, das Wort auszusprechen, »Mordanklage ausgesprochen worden ist.«
»Mordanklage?« Hechard merkte auf.
»Davon spreche ich doch andauernd. Er hat das Gerücht in die Welt gesetzt, du hättest Schwester Guta auf dem Gewissen!«, rief Demudis.
»Nein«, widersprach Hechard. »Der Bube ist verschwunden, seit gestern. Mir ist nicht zu Ohren gekommen, dass er Derartiges von mir behauptet.«
Wie kann er das so unbeteiligt sagen?, fragte sich Demudis. »Die Barfüßer, wie schon kundgetan, haben dies Magistra Sela und mir gegenüber geäußert. Haben Abt Norbert oder die Schöffen nichts verlauten lassen?«
»Nein«, wiederholte Hechard. Dann schien ihm etwas eingefallen zu sein. »Bruder Hermann hat einen Spießgesellen. Sein Name ist Wilhelm. Kein dummer Junge eigentlich, er schreibt ihm die Hasspredigten. Schade um die christliche Seele. Er könnte etwas wissen.«
»Auch über die Familie von Schwester Guta?«, fragte Demudis aufgeregt.
»Wie kommst du darauf?«, gab Hechard die Frage zurück.
Demudis hatte das Gefühl, dass in Hechard eine Veränderung vorgegangen war. Seine Gelassenheit hatte sich plötzlich in ein Lauern gewandelt. »Die nämlichen Barfüßer haben mir angedeutet, dass Bruder Hermann Schwester Gutas Familie Bescheid geben wolle. Nun haben wir so gar keine Kenntnis von ihrer Familie oder dass sie überhaupt eine hat. Mir erscheint es unwahrscheinlich, dass Bruder Hermann etwas über ihre Familie erfahren haben sollte …«
»Es gibt Gründe«, murmelte der Greis.
»Sag mir mehr«, forderte Demudis, weil sie danach dürstete, das junge Gewächs ihrer Erkenntnisse mit neuem Wissen düngen zu können.
Hechard seufzte. »Ich wünschte, ich dürfte es.«
»Du sprichst vom Beichtgeheimnis?«, fragte Demudis bang.
Der Greis nickte.
»Es gibt nichts, was du mir offenbaren darfst?«
»Nichts.« Hechard kniff den Mund fest zusammen.
Demudis hatte einen rettenden Einfall. »Das Empfehlungsschreiben des Grafen Walram, das ein gewisser Bauernbursche vorgelegt hat, um mit ihr ins Gespräch zu kommen, fällt, soweit ich sehen kann, nicht darunter.«
Aber Hechard antwortete nicht, sondern erhob seine Stimme zu einem Donnerhall, wie er es manchmal tat, wenn er in höchster Erregung war: »Geh fort von mir, du willst mich versuchen in meiner schwersten Stunde, da mein Glaube auf dem Spiele steht!«
Demudis nahm ihren ganzen Mut zusammen und versuchte es mit einer weiteren Frage: »Weißt du etwas von einem gewissen Paul, mit dem Schwester Guta zu tun hatte?«
Die Augen des Greises verdunkelten sich, und er wiederholte, aber ganz leise, fast wie eine flehentliche Bitte gesprochen: »Gehe fort von mir.«
Als Demudis mit gesenktem Haupte schon fast zur Tür hinaus war, rief Hechard ihr hinterher: »Suche bei dem jüngst verstorbenen Herrn von Riehl, meine Tochter. Dort findest du Antworten.«
*
Riehl, am Mittag des 6.2.1327
Demudis hatte sich
Weitere Kostenlose Bücher