Demudis
errichten und dorthin eine gute Magd heimführen kann.‹ Jeder wusste, dass er sich selbst verurteilt hatte, denn von Felix war ja bekannt, dass er keine Arbeit leistete. Felix fand keinen einzigen Fürsprecher unter den Versammelten, die unseres Vaters Urteil mit stummem Nicken bejahten. So schuftete Vater zusammen mit dir für die Schuld des Taugenichts, und wir darbten im Winter fürchterlich, obwohl der Graf, gerührt von der Geschichte, uns in jenem Jahr einen großen Teil seines Zehnts erließ; aber niemals gab es ein Wort des Dankes von Felix. Mutter dagegen wandte sich gegen Vater. Denn sie vergötterte ihren Erstgeborenen, auch wenn es wir waren, die ihr die Last des Tages abnahmen und es ihr erlaubt hatten, sich nach all den Mühsalen des Lebens auch mal ein wenig Ruhe zu gönnen. Nie wieder wurde es wie vordem. Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn ich einen stattlichen Bauernburschen hätte und du eine kräftige Magd mit nach Hause gebracht hättest. So dagegen beäugte Mutter argwöhnisch jedes vertraute Wort, das wir miteinander tauschten, und wurde oft allzu ausfällig.«
»Wie gerecht der Vater war«, ergänzte Martin, »hatte jeder auch an jenem Tage sehen können, als der Fremde etwas von Vaters Korn auf den Wagen lud, um es als Wegzehrung für sein Pferd zu haben. Das war Unrecht, denn es ist den Reisenden nur erlaubt, das Korn zu schneiden, was sie vom Wege aus erreichen, und zwar ausschließlich zum sofortigen Verzehr des Tieres. Ich verstehe die Missetäter nicht, die vorgeben, sie wüssten das nicht, denn alle wissen es. Nachdem der Bauermeister den Fremden als Dieb zum Tode verurteilt und den Preis von drei Schillingen festgesetzt hatte, mit denen der Fremde seine Haut und sein Haar lösen könne, stellte sich heraus, dass der Fremde nicht einmal die geforderten drei Schillinge besaß. So hätte er bei Vater seine Schuld abarbeiten müssen. Dazu war er auch bereit. Aber am Abend weinte er, weil er nicht rechtzeitig zur Beerdigung seiner Schwester kommen würde, und Vater erließ ihm nicht bloß seine Schuld, sondern gab ihm auch noch genug Korn mit, um am nächsten Tage bis zum Ziel zu kommen.«
»Das Rad des Lebens«, flüsterte Anna, »es dreht sich zu schnell für uns. Wir kannten es nicht anders, als Vater abgeschieden war und wir als Knecht und Magd für Felix schuften mussten. Als Felix dann an Heilige Drei Könige voll des Weines im Schnee eingeschlafen und erfroren ist, Gott sei seiner Seele gnädig … Es war eine Sünde, dass wir frohlockten, nun den Hof unser Eigen nennen zu dürfen. Wie schrecklich war es, dass Mutter Franz zum Erben erklärte, weil du nicht ihr Sohn seist. Es hat gedauert, bis wir erkannten, was es bedeutet, dass wir nicht im Blute als Bruder und Schwester verbunden sind.«
Demudis sah, wie Martin Annas Körper ein wenig stärker an sich drückte.
»Wie glücklich priesen wir uns, nachdem Graf Walram dir deine Herkunft offenbart und dich hierher gesandt hatte, damit du in dein rechtmäßiges Erbe eintreten kannst. Deine …«, Anna unterbrach sich, weil es ihr, wie Demudis spürte, schwer fallen musste, es auszusprechen, »… Mutter fand sich bereit zum Zeugnis. Aber sie kam nicht. Niemand soll sich mehr wähnen, als seines Standes ist. Lass uns zurückkehren und glücklich vermählt als Knecht und Magd unserem jüngeren Bruder den Hof bewirtschaften.«
Martin küsste Anna. »Glücklich vermählt«, wiederholte er.
Sie waren nun am Ufer des Rheins angelangt, dessen zugefrorenen Lauf sie aufwärts folgen würden. Martin und Anna wollten nicht rasten, sondern unverzüglich den Weg fortsetzen. Demudis aber, die nicht weniger in Eile war, musste zuvor noch ihre Magistra in Kenntnis setzen. Sie hatte nun viel über Schwester Gutas Leben und das ihres Sohnes erfahren. Sie war sehr traurig, dass dies erst nach ihrem Tod geschehen war. Hechard wusste das alles wahrscheinlich, war jedoch gehalten, es in seinem Herzen zu verschließen. Umso dankbarer war sie ihm, dass er ihr den Hinweis gegeben hatte, bei den von Riehls nachzuforschen. Obgleich sie also ein gutes Stück vorangekommen war, kehrte sie mit mehr Fragen als Antworten zurück.
Demudis ordnete im Kopf noch einmal die Leute, die sie fürderhin zu befragen gedachte, um den Mörder von Schwester Guta der Gerechtigkeit zuzuführen: Bruder Wilhelm, der ihr vielleicht Auskunft über Bruder Hermann geben konnte; Schwester Mathilde in Koblenz, von der sie hoffte zu erfahren, warum Schwester Guta Martin zu
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