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Demudis

Demudis

Titel: Demudis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Blankertz
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einer Bauernfamilie in Katzenelnbogen gegeben hatte; und vor allem den Grafen, der ihr sagen konnte, wie er zu seinem Wissen um Martins Geburt gekommen war, und von dem sie Beistand erbitten würde, um Herrn Bruno einem Verhör unterziehen zu können. Je mehr sie darüber nachdachte, desto sicherer erschien es ihr, dass Herr Bruno die Tat begangen hatte: Er verfügte über starke Hände, und unzweifelhaft war er derjenige, dem der Tod von Schwester Guta am meisten nützte.
     
    *
     
    Köln, Predigerkloster, am Abend des 6.2.1327
     
    Bruder Hermann hatte ihm mitgeteilt, er müsse etwas Wichtiges besorgen, wobei er Wilhelm nicht zumuten könne, zugegen zu sein. Es sei gefährlich, hatte er geheimnisumwittert hinzugefügt, aber unumgänglich. Es würde Meister Eckhart in einer Weise bloßstellen, wie es niemand für möglich halten würde. Das letzte Zeugnis für dessen unvorstellbare und abgrundtiefe Niedertracht.
    Ein wahrer Bruder, dachte Wilhelm gerührt, er ist ein wahrer Bruder für mich, sogar ein Vater, er sorgt sich um mich, und zugleich vertraut er mir. Ließ er nicht mich die Predigten schreiben, die alles entscheiden werden?
    Es machte ihm allerdings schwer zu schaffen, dass die anderen ihn dieser Tage mieden. Am schlimmsten trieb es Bruder Johannes, der aufgrund seines Gelübdes im Schweigen geübt war und Blicke wie vergiftete, todbringende Pfeile versenden konnte. Wilhelm war Tausende von qualvollen Toden gestorben. Ja, es machte ihm etwas aus, jedenfalls jetzt, wo er sonder den Schutz von Bruder Hermann dastand. Hermann, dachte Wilhelm, würde selbstredend wissen, was zu sagen wäre.
    Bloß am Rande, weil er nicht bemerkt worden war, hatte Wilhelm eine Disputation unter einigen Brüdern mitbekommen. Er las gerade in einem Werke Platons, das er nicht verstand. Ihm rauchte der Kopf, den er ganz in dem gewaltigen Folianten vergraben hatte. Hinter dem nächsten Bücherschrank hörte er, wie ein Bruder heftig wurde:
    »Was soll das heißen, ›Wirklichkeit? Das ist doch kein Wort. Du meinst sicherlich ›Wahrheit‹!« Es war die Stimme von Bruder Nikolaus. Ihn hatte der Orden aus Straßburg vor etlichen Monaten gesandt, um die Rechtgläubigkeit Bruder Eckharts überprüfen zu lassen, aber es hatte nicht lange gedauert, da war er dem Banne des Meisters gänzlich erlegen.
    »Gewiss nicht«, erwiderte eine Stimme, die Bruder Seuse gehören musste, einem treuen Schüler von Meister Eckhart. »Die Wahrheit ist nicht immer und überall gleichzusetzen mit dem, was wirkmächtig ist.«
    »Nur Gott wirkt, und Gott ist mit der Wahrheit gleichzusetzen«, beharrte Bruder Nikolaus.
    »Wenn Wirklichkeit und Wahrheit nicht voneinander verschieden wären, würde es nichts Böses geben können, denn die Wahrheit kann nichts Böses wirken«, steuerte ein dritter Bruder bei, den Wilhelm als Tauler erkannte, einen weiteren Schüler des Meisters.
    »Es ist bekannt unter den Philosophen«, erklärte Bruder Nikolaus von oben herab, »dass das Böse kein eigenes Prinzip ist, das ist die Ketzerei der Manichäer. Vielmehr besteht das Böse bloß in der Abwesenheit des Guten, so wie die Kälte in der Abwesenheit der Wärme besteht.«
    »Oder umgekehrt die Wärme in der Abwesenheit der Kälte, demnach könnte man auch sagen, das Gute bestünde in der Abwesenheit des Bösen, was in einen völligen Aberwitz münden würde«, höhnte Bruder Tauler.
    »Das sind eitle Wortspiele«, wies ihn Bruder Seuse zurecht. »Ein Vergleich ist nicht die Sache selbst. Bleiben wir bei Gut und Böse. Die Abwesenheit des Guten ist das Böse, hast du gesagt, Bruder Nikolaus?«
    »Durchaus«, bestätigte dieser.
    »Nun denn. Dann sage ich: Die Abwesenheit des Guten wirkt das Böse. Das Böse hat dadurch kein eigenes Prinzip, aber eine Wirkmächtigkeit. Und das nennt der Meister ›Wirklichkeit‹.«
    »Ich bin beeindruckt«, gestand Bruder Nikolaus zu. »So folgt daraus, dass ›Wahrheit‹ eine Beziehung zu Richtig und Falsch, also auch zu Gut und Böse hat, während ›Wirklichkeit‹ ein Sein bedeutet, das davon unabhängig zu betrachten wäre.«
    »Ein kühner Gedanke, das gebe ich gerne zu«, sagte Bruder Seuse. »Wir müssen das noch weiter untersuchen. Ist es möglich, das Sein außerhalb des Begriffes des Guten zu bestimmen? Dagegen steht selbstredend der heilige Thomas, besonders in seiner Summe gegen die Heiden …«
    Wilhelm rann eine Träne über die Wange. Wie gern hätte er sich ihnen zugesellt und an dem »kühnen Gedanken«, wie Bruder Seuse

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