Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Demudis

Demudis

Titel: Demudis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Blankertz
Vom Netzwerk:
verschonen.«
    Martin wandte sich an Demudis, die gedankenverloren neben den beiden durch den Schnee stapfte: »Vor fast zehn Jahren ist Gertrud gestorben. Das war ein trauriger Tag für die ganze Familie, obwohl alle so geschwächt gewesen waren, dass wir die Trauer erst viel später wahrhaft empfinden konnten. In jenem Winter im Jahre des Herrn 1316 wüteten Eis und Schnee für viele lange Wochen. Es gab wenig zu essen, und das Brennholz war so knapp, dass es meist auch kein Feuer gab, um sich daran zu wärmen. Gertrud war dennoch ganz heiß geworden, erst im Gesicht, dann am ganzen Körper, und später hatte sie zu husten angefangen, bis ihre Stimme klang wie die einer alten Frau. Sie schlief am Tage, wachte in der Nacht, lallte unverständliches Zeug. Schließlich ist sie aus ihrem unruhigen Schlafe nicht mehr aufgewacht.«
    »Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn Gertrud nicht gestorben wäre«, überlegte Anna. »Sie hätte Mutter womöglich umstimmen können, Mutter, die nach Vaters Tod so hart geworden war.«
    »Mutter! Mutter!«, presste Martin heraus. »Maria ist nicht meine Mutter! Nicht sie war es, die mir unter Schmerzen das Leben schenkte und deren Milch ich eingesogen habe. Ich hasse sie! Ich hasse sie! Nein, das bringe ich nicht über mich. Sie ist ein herzensgutes Weib. Ach, ich weiß nicht, wohin ich gehöre! Als Gertrud geboren worden war, war ich schon alt genug gewesen, um zu sehen, welch zärtliche und liebevolle Mutter Maria ist. Schrie Gertrud, sah Maria, wie es die Hebamme gesagt hatte, sogleich nach, ob das Leinen gewechselt werden musste, die Bänder zu stramm saßen oder das Kind Hunger litt. Maria nahm Gertrud auf, sang ihr Lieder, während du und ich ihr abnahmen, was die Mutter im Haushalt zu tun hatte, wir holten Wasser, stampften die Butter, kneteten den Teig, lasen die Eier der Hühner auf. Franz dagegen hing am Rockzipfel der Mutter und brüllte, anstatt sich nützlich zu machen, während Felix sich Gott weiß wo herumtrieb und der Mutter Kummer bereiten würde, indem er mit zerrissenen Kleidern zur Vesper erschien. So ist es auch geblieben. Als ich größer war, ging ich mit Vater ins Feld hinaus, säte und fuhr die Ernte ein, während Anna das Haus bewirtschaftete. Vater war sehr ungehalten, dass Felix, der als ältester doch den Hof erben sollte, auch unter Androhung von Schlägen sich nicht bereit fand, seine Hände zu ehrlicher Arbeit einzusetzen. Vater brachte es auch nie übers Herz, Felix die gehörige Tracht Prügel wirklich zu verabreichen. Ließ sich Felix doch einmal herab, sich an der Arbeit zu beteiligen, so wünschten wir alle, er hätte es gelassen, denn so viel konnte niemand richten, als was er durch Unachtsamkeit zerstörte. Wie oft seufzte Vater: ›Was täte ich nur ohne dich, Martin!‹«
    »Vater«, wiederholte Anna. »Vater war gerecht. Denk an jenen Tag im März vor vielen Jahren, als der Gerichtstag stattfand. Früh, kaum dass die Sonne aufgegangen war, hatte Sebastian, der krummbeinige Küster, das Zeichen gegeben, laut und vernehmlich. Zur neunten Stunde läuteten alle Glocken zusammen, damit alle Hufner wussten, dass das Gericht abgehalten und niemand sonder Erlaubnis fehlen durfte. Man versammelte sich unter jener Ehrfurcht gebietenden alten Eiche am Rande von Katzenelnbogen. Angeklagt aber war niemand anderes als unser Felix, der einem Genossen im Streite nach durchzechter Nacht ein Auge ausgeschlagen hatte. Der Hasenfuß Rotbert, der damals der Bauermeister war, getraute sich nicht, Felix einer Missetat zu beschuldigen, und folgte dessen frecher Behauptung, Ortlieb, so hieß der Geschädigte, habe seinen Zorn gereizt, indem er ihn, Felix, bezichtigt habe, kein ganzer Mann zu sein. Rotberts Zurückhaltung war verständlich, unser Vater nämlich stand in hohem Ansehen im Dorfe und beim Grafen, während Ortlieb aus einer Familie von Hintersassen stammte, die kein eigenes Land besaßen, und darum nahm auch dessen Vater an dem Gericht nicht teil. Erzürnt über die Ungerechtigkeit schalt Vater das Urteil und nahm zum Erstaunen aller, die anwesend waren, den Platz des Richters ein. Er sagte mit gebrochener Stimme: ›Da es in der Schrift heißt, dass man Auge für Auge geben solle, so gehört eins deiner Augen, Felix, deinem unglücklichen Genossen Ortlieb. Du sollst es nur zurückkaufen können, wenn du ihm dafür den vierten Teil des Ertrages in diesem Jahr übergibst, auf dass Ortlieb ein ordentliches Stück Landes für sich erwerben, einen Hof

Weitere Kostenlose Bücher