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Den ersten Stein

Den ersten Stein

Titel: Den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elliott Hall
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tue ich auch. Bruder Isaiah mag gegen ihn gewesen sein, aber das hat die anderen Ältestennicht daran gehindert, in seine Show zu gehen oder neben ihm auf einem Podium zu stehen. Die Unzahl gutgläubiger Zuschauer
     dieses Mannes repräsentiert zu viele Stimmen, um sie einfach links liegen zu lassen. Man hat ihm die verdammte Freiheitsmedaille
     des Präsidenten dafür verliehen, dass er ›den Glauben der Nation gestärkt hat‹!« Ich schob mich an ihr vorbei aus dem Zimmer.
    Im anderen Raum der Wohnung standen ein Fernseher und ein Designer-Sofa. Hinten war eine kleine Kochnische. An den Wänden
     hing noch mehr abstrakte Kunst und bronzene Bodhisattvas bewachten das leere Bücherregal. Ich kam mir eher vor wie am Set
     einer Show über eine junge Single-Frau in Manhattan als an einem Ort, wo tatsächlich jemand wohnte.
    »Wohin gehst du?«, fragte Iris.
    »Ich weiß es nicht.« Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, wütend aufzubrechen, konnte mich aber nicht dazu aufraffen, die
     Wohnungstür zu öffnen.
    »Iss etwas, bevor du gehst«, sagte Iris. »Du musst halb verhungert sein. Kochen gehört zwar nicht zu meiner Tarnung, aber
     ich kenne einen guten indischen Lieferservice.«
    Ich war hungrig wie ein Wolf und konnte so, wie ich angezogen war, ohnehin nicht nach draußen gehen. »Was hast du mit meinem
     Anzug gemacht?«, fragte ich.
    »Er musste gereinigt werden und dein Hemd ebenso. Sie sind da in der Tasche, die an der Tür hängt.«
    Ich ging nirgendwohin, da konnte ich mich ebenso gut präsentabel machen.
     
    Ich duschte, um den Schweiß des Anfalls abzuwaschen. Als ich angezogen war, war das Essen schon da. Die erste Hälfte der Mahlzeit
     verbrachen wir schweigend, aber es war ein Schweigen der versöhnlichen Art.
    »Es tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe«, sagteich schließlich. »Aber für mehr werde ich mich nicht entschuldigen.«
    »Die Ältesten sollten sich nicht mit einem falschen Propheten wie Brian Binn einlassen«, erwiderte Iris. »Da du zumindest
     teilweise Recht hast, werde ich wohl akzeptieren, was ich bekommen kann.«
    »Ich weiß nicht, warum du mich erträgst«, sagte ich.
    »Du bist ein guter Mann. Das ist etwas derart Neues für mich, dass ich dich gerne in meiner Nähe behalten möchte.« Ihr fiel
     etwas ein, und sie ging zu dem kleinen Schrank bei der Wohnungstür und brachte mir meinen Hut zurück. »Den hier hätte ich
     fast vergessen«, sagte sie und setzte ihn mir auf den Kopf.
    »Danke.« Er war immer noch gut erhalten, in Anbetracht der Umstände. Ich war bedroht und belogen worden, man hatte auf mich
     geschossen und mich halb vergast, aber wenigstens hatte ich noch meinen Hut auf. Das war nicht zu verachten.
    »Ich habe ihn neben dem Schreibtisch gefunden«, sagte Iris, und damit hätte er unmittelbar neben Pykes Leiche gelegen.
    »Hast du Pyke gesehen?«, fragte ich. Ich wollte mich vergewissern, dass er keine Halluzination gewesen war.
    Iris nickte. »Ich hatte vorhin Angst, das Thema anzusprechen. Du hast doch nicht etwa   …«
    »Ich bin kein Fan von Selbstjustiz.«
    »Weißt du, wer ihn getötet hat?«
    »Ich weiß, wen ich für den Mörder halten soll.«
    »Diese Schrift an der Wand«, meinte Iris. »Die habe ich früher schon gesehen.«
    »Sie gehört zu einem alten Sprechgesang für Schwulenrechte: ›Wir sind hier, wir sind schwul, gewöhnt euch an uns.‹« Der Slogan
     war als Graffito wieder in Mode gekommen. Er erinnerte die Erweckungsbewegung daran, dass man dieSchwulen zwar wieder ins stille Kämmerlein verbannen konnte, dass sie aber nicht aufhören würden zu existieren. »Jemand will,
     dass die Leute glauben, schwule Aktivisten hätten Pyke als Vergeltung für die gestrigen Vorfälle ermordet, und das wird funktionieren.«
     Ebenso gut hätten sie Pyke ans Kreuz nageln können, um ihre Botschaft rüberzubringen.
    »Ich weiß, dass du fromme Menschen für leichtgläubig hältst   …«
    »Das hat nichts damit zu tun. Es gibt eine Menge Leute, die davon leben, den Volkszorn zu schüren. Jemand in der Polizei wird
     die Story zur Presse durchsickern lassen, und diese Gelegenheit zur Hysterie, diese Chance, sich in Szene zu setzen, wird
     man sich nicht entgehen lassen: Senatoren können sinnlose Gesetzesentwürfe anhäufen, die Fernsehsender können sich über die
     Schwuchteln ereifern, und alle fühlen sich gut. Wer auch immer dieses gefundene Fressen in Frage stellt, wird das Opfer von
     Unterstellungen und Schlimmerem werden.«
    Iris

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