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Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
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Schreibtisch hängen Zeichnungen, die Lilly als Kind angefertigt hat. Sonne und Berge. Meer. Menschen mit großen Köpfen und winzigen Beinchen.
    »Wo hast du denn so lange gesteckt?« Sie redet mit mir, ohne mich anzusehen.
    Ich gebe keine Antwort. Gehe stattdessen in die Küche und gieße einen Schluck Kaffee in meine Tasse. Ich ziehe es vor, angesehen zu werden, wenn ich angesprochen werde.
    »Komm mal her, dann zeig ich dir etwas!«
    Ich will nichts gezeigt bekommen. Meine Zeit im Internet ist zu Ende. Das ist in Ordnung so. Aber dann will ich auch nichts gezeigt bekommen, weder von ihr noch von anderen. Entweder freie Suche oder nichts.
    Dann steht sie in der Tür. »Sei doch nicht so kindisch! Wir haben doch abgemacht, dass wir zusammen ins Netz gehen können!«
    Was hatte ich denn für eine Wahl? Ich kann noch immer Arne Svendsen wiehern hören, als er sich über den Apparat beugt und alle Viren tilgt, für die Berit und er mich verantwortlich machen. »Himmel, du hast ja wirklich eine richtige Runde gedreht, Ulf! Reg dich ab! Ich bin ja auch nicht besser. Aber eine brauchbare Faustregel ist, allem aus dem Weg zu gehen, das sich als
gratis
ausgibt. Im Netz ist nichts gratis. Jedenfalls nicht in dieser Branche.«
    Was denn für eine Branche, will sie wissen.
    Er murmelt etwas über Jagd und Fischerei. Sport und Freizeit. Dann kommt wieder sein blödes Kichern, und er zwinkert mir zu und bildet sich ein, dass sie das nicht bemerkt.
    An den folgenden Tagen ist es still zwischen Berit und mir.
    Aber was antworte ich, als sie mir anbietet, mit ihr zusammen ins Netz zu gehen, und nur mit ihr? Da sage ich ja, denn jetzt kann ich ihr Schmollen nicht mehr ertragen. Kann ihre knappen einsilbigen Antworten, immer, wenn ich mich an sie wende, nicht mehr ertragen.
    »Es tut mir leid«, sage ich jetzt und zwinge den Zorn, der in mir aufgestiegen ist, zurück ins tiefe Wasser. »Ich war anderswo mit meinen Gedanken. Es hat einen Unfall gegeben. Ich habe Blut unter den Schuhen. Ja, ich habe sie draußen auf der Treppe stehen lassen.«
    Auf diese Weise manövriere ich uns beide aus dieser leicht kniffligen Situation.
    Was sage ich da! Und so weiter.
    Doch. Als ich um die Ecke bog. Das große tote Tier und der alte Mann im Schock unter einer Decke. Lensmann Tharald Reine, der die Lage nicht ganz im Griff hat. Ich streiche Jenny Lydersen von der Darstellerliste.
    »Wir mussten das Tier doch von der Fahrbahn schaffen. Und den Alten beruhigen.«
    Ich liefere keine Details. Kein Gedärm. Keine verzerrten Augen. Besser so.
    »Aber Herrgott, das muss doch einfach entsetzlich gewesen sein. Lass dich mal anfassen!«
    Mich mal anfassen?
    Sie nimmt meine Hände. »Du zitterst ja!«
    Was ist mit meinen Händen los, dass sie die ganze Zeit angesehen werden müssen, festgehalten?
    »Ich halte das für eine ganz normale Reaktion, wenn man bis zu den Knien in Blut und Innereien gestanden hat.«
    »Und wer?«
    »Ich weiß nicht. Es ist so schnell gegangen. Sie haben ihn weggebracht.«
    Aber habe ich nicht eben erst behauptet, ich hätte ihn beruhigt? Ich bin nicht sicher. Vielleicht habe ich das auch nur gedacht.
    Sicherheitshalber, um sie auf andere Gedanken zu bringen, frage ich, was sie mir zeigen will. Ich habe natürlich nichts dagegen, ein wenig im Netz zu surfen, solange sie mich begleitet, nein, anführt. Solange es sich in geordneten Formen abspielt.
    Bin ich zu giftig? Spürt sie den Stachel?
    Ich verstehe alles sofort, als wir das Arbeitszimmer betreten. Sie hat die Webseite der Klerke gefunden. Das, also, dass ich sofort begreife, dass ich hier die Klerke vor mir sehe, überrascht mich ein wenig, weil das, was ich sehe, doch ganz anders ist als das, was ich mir vorgestellt hatte. Wenn mir und anderen hier auf der Insel erzählt worden ist, dass die Klerke aus einer Satellitenstadt von Rotterdam kommen, ja, dann stelle ich mir doch kein Reihenhaus mit einem kleinen Vorgarten vor, sondern einen riesigen heruntergekommenen Wohnkomplex irgendwo in der Pampa, umgeben von Konkurs gegangener Industrie und Bergen von Müll. Ich stelle mir Blocks von fünfzehn Stockwerken vor, die sich über mehrere Straßenzüge hinweg erstrecken, verdreckte Satellitenschüsseln, eingeschlagene Fensterscheiben und Kleidung von der Heilsarmee, die auf engen Balkons zum Trocknen aufgehängt ist, ich stelle mir Frauen in Burka und ausgebrannte Autowracks vor, ich habe in den Zeitungen gelesen, dass die Niederländer in ihrem eigenen Heimatland den Kampf gegen

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