Den schnapp ich mir Roman
seine Frisur fast völlig ruiniert, weil er eine Baseball-Kappe mit breitem Schirm trug, die seine dunklen Augen beschattete. Er trug ein altes graues Sweatshirt, Shorts und Trainers, aber in seiner Eitelkeit hatte er ein extra Outfit mitgebracht. Dass er sich tarnen musste, war nötig – er daneben hatte schließlich auch einen Ruf zu verlieren: Also hatte er sich unmittelbar nach Betreten des Zimmers umgezogen und trug nun sein übliches schwarzs T-Shirt, seine Lieblings-Diesel-Jeans in Schwarz und spitze Stiefel.
Rufus hatte die Flitterwochen-Suite genommen, weil er annahm, es wäre das beste Zimmer des Hauses. Ein gigantischer Fehler, denn das Zimmer war ein einziger altmodischer spitzenverzierter Albtraum, ein Zimmer, in das Miss Haversham aus dem Dickens-Roman sofort eingezogen wäre. Die Möbel waren klapprig und im Pseudostil. Das Himmelbett bestand aus einem wackeligen weißen Rahmen und gerüschter, vergilbter Spitze, und die Chippendale-Imitation von einem Frisiertisch wies sogar ein Glastablett mit einem silbernen Bürstenset auf, in dem sich blonde Haare kräuselten.
Rufus schüttelte sich. Das Zimmer war ihm unheimlich. Fast erwartete er, an den Balken größere Hängematten von Spinnennetzen zu finden, vielleicht auch noch ein vergilbtes altes Brautkleid im Schrank. Verdammt, wo blieb sie nur? Er warf sich schmollend auf das Bett mit der pfirsichfarbenen Spitzendecke und dachte ein paar Sekunden lang an Clemmie, während er mit den Stiefelspitzen wippte. Sie wurde allmählich immer argwöhnischer, wollte wissen, wohin er ging und wo er gewesen war. Und morgens, mittags und abends wollte sie vögeln. Kein Problem für ihn, der auf die leiseste Ermunterung hin einen Ständer
bekam, aber er hatte bemerkt, dass sich hinter Clemmies Riesenappetit auf Sex ein Bedürfnis nach Bestätigung verbarg statt Lust auf ihn. Und das wurde, ehrlich gesagt, allmählich etwas langweilig.
Rufus nippte an dem rosé Champagner und verzog verächtlich die Nase. Er hatte Champagner nie gemocht, und diese limitierte Auflage von einem Jahrgang hatte nicht nur ein besonderes rosafarbenes Etikett, sondern war preislich auch völlig überhöht. Doch angesichts der minderen Qualität des Hotels war klar, dass er wenigstens etwas investieren musste, um India zu beeindrucken. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass es mit teurem Champagner immer klappte. Allerdings würde dieser hier bald schal werden, dachte er mürrisch, und sah zu, wie die Gasbläschen in dem Kelch immer langsamer aufstiegen.
Dann warf er einen Blick auf sein Handy und verdrehte die Augen, als er drei weitere SMS von Clemmie sah. Jede war eindeutiger als die vorangegangene, jede verzweifelter. Er runzelte die Stirn. Vermutlich konnte er ihr nicht vorwerfen, dass sie ihm nicht traute, denn er betrog sie immerhin genau in diesem Moment, oder? Aber er betrog sie, weil sie so klammerte, oder klammerte sie nur so, weil sie ihn in Verdacht hatte? Rufus wusste genau, mit welcher Antwort sein Gewissen besser fertig wurde, und für diese entschied er sich auch.
Da klopft es leise. Er sprang vom Bett auf und horchte an der Tür.
»Wer ist da?«, flüsterte er. Allmählich erregte ihn die Heimlichtuerei.
»Ich bin’s … India. Mach schon auf!«
Er öffnete die Tür und zog India in den abgedunkelten Raum hinein.
»Au! Was machst du da?« Sie rieb sich den Arm wie ensthaft verletzt und sah ihn an, als wäre er verrückt geworden.
Rufus war irgendwie ziemlich affig und paranoid, und sie hatte ohnehin sehr schlechte Laune. Heute Morgen hatte sie erfahren, dass sie sämtliche Schulprüfungen bis auf eine völlig in den Sand gesetzt hatte. Daher hatte sie sich den ganzen Morgen die Vorhaltungen ihrer Mutter anhören müssen, mit einer schäbigen Vier in Erdkunde würde sie es im Leben nicht sehr weit bringen. Vielleicht hatte ihr Interesse, die Welt zu sehen, ein gewisses Interesse in ihr geweckt, aber was es noch schlimmer machte, war, dass Milly alles mit Auszeichnung bestanden hatte und ununterbrochen darüber quasselte, dass sie bald in Tessa Meadmores Fußtapfen treten würde.
Sie wusste, dass Rufus der letzte Mensch war, mit dem sie über ihre Examensprobleme reden konnte, und da sie ihm ja auch weisgemacht hatte, sie wäre »praktisch achtzehn«, verdrängte India nun ihre Sorgen und lächelte ihn strahlend an.
»Ich kann es nicht riskieren, dass dich jemand hier mit mir sieht«, erwiderte er und starrte sie an. Sie trug ein wenig schmeichelhaftes, formloses,
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