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Den Tod im Blick- Numbers 1

Den Tod im Blick- Numbers 1

Titel: Den Tod im Blick- Numbers 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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Tragen einer Waffe, Androhung von Gewalt, und zudem dein unmögliches Verhalten im Unterricht, dein unverschämtes Auftreten, die Mobbingattacken …«
    Und so weiter und so weiter und so weiter. Ich blendete alles aus, saß nur noch da, während sie auf mich einredeten. Ich wollte glauben, wenn ich einfach schwieg, würden sie irgendwann aufgeben und alles wär vorbei, aber diesmal konnte selbst ich mir nicht in die Tasche lügen. Das Messer lag vor mir auf dem Schreibtisch – eine stumme Anklage. Schwerer Fehler, es mit in die Schule zu bringen, dachte ich immer wieder, schwerer Fehler. Ich saß gehörig in der Scheiße.
    Schließlich wurde vereinbart, dass ich auf dem Polizeirevier weiter befragt würde. Du konntest die Aufregung buchstäblich spüren, die durch die Schule schwappte, als ich im Polizeiwagen weggekarrt wurde. Viele hingen aus den Fenstern, andere standen in den Eingängen. Als die Polizei mich rausführte, dachte ich: Es ist wahrscheinlich das letzte Mal, dass ich hier bin. Die Schule selbst und meine Mitschüler waren mir egal. Erst als ich an Spinne dachte, spürte ich einen scharfen Stich in der Magengrube. Wenn sie mich jetzt einlochten, würde ich ihn dann jemals wiedersehen?
    Sie machten alles ganz förmlich – sie trugen meinen Namen ein, sie durchsuchten mich, sie nahmen meine Fingerabdrücke. Vermutlich taten sie das, um mir einen Schrecken einzujagen, aber es ließ mich völlig kalt. Ich hatte mich dem Ganzen irgendwie entzogen. Ich war zwar anwesend, doch völlig abgeschottet in mir – ich beobachtete, was geschah, spürte es aber nicht.
    Ich ließ alles mit mir geschehen, machte keinen Ärger, doch ich erzählte ihnen nichts. Sie versuchten nett zu sein: »Du musst verstehen, dass es sehr gefährlich ist, ein Messer bei sich zu tragen. Es könnte genauso gut plötzlich gegen dich gerichtet werden. Lass uns einen Becher Tee trinken und dann reden wir drüber.« Sie versuchten mir zu drohen: »Wenn das vor Gericht kommt, dann kannst du dich auf eine Haftstrafe gefasst machen. Bei Kriminellen wie dir greifen die hart durch.«
    Sie kriegten nichts aus mir raus.
    Karen und Sue setzten sich abwechselnd zu mir. Sie gaben ihr Bestes. Karen versuchte verzweifelt etwas aus mir herauszuschmeicheln – ihre Chancen, diejenige zu sein, die mich auf einen besseren Weg brachte, wurden zunehmend schlechter. Sie war es nicht gewohnt zu scheitern.
    »Jem, es ist wichtig, dass du uns alles sagst, was du weißt. Ich glaube nicht, dass du gewalttätig bist. Dafür hat es zu Hause nie irgendwelche Anzeichen gegeben. Irgendwas ist doch passiert, stimmt’s? Wenn du es erzählst, hilft uns das, dich zu verstehen.«
    Ihre Worte drangen allmählich durch meine Backsteinmauer und schlängelten sich in meinen Kopf. Sie erreichten mich, brachten mich dazu zu glauben, man würde mir zuhören, aber wo sollte ich anfangen? Bei Jordan, bei McNulty, bei Spinne und der Party, bei Ma, bei dem Wissen, dass du nie irgendwo richtig sicher bist und dass alles irgendwann endet, heute, morgen, übermorgen? Ich konnte es einfach nicht – es wäre, als würde man das zarte Fleisch aus einem Schneckenhaus ziehen. Wenn erst mal alles draußen war, gab es nichts mehr, was mich schützte. Ich fixierte meinen Blick auf den Fußboden und versuchte ihre Stimme zu ignorieren, stark zu bleiben.
    Lange fünf Stunden später wurde ich wieder in Karens Obhut entlassen, mit der Anordnung, in drei Tagen erneut auf dem Revier zu erscheinen, um zu erfahren, ob ich nun angeklagt würde oder nicht. Außerdem bekam ich einen einmonatigen Verweis von der Schule. Ich hatte bei Karen Hausarrest, bis die Sozialfürsorge entschied, was mit mir geschehen sollte. Ich konnte nichts anderes tun als dasitzen und warten in dem Wissen, dass ein neuer Umzug bevorstand, ein weiterer »Neuanfang«, irgendwo weit weg von der Siedlung, von Spinne, dem einzigen Freund, den ich je hatte.
    Ich saß in meinem Zimmer und kochte innerlich vor Wut. Wieso hatten sie nicht Jordan wegen Mobbing eingelocht? Wieso hackten sie auf mir rum, obwohl ich mich doch bloß verteidigt hatte? Wieso glaubten sie, dass es für mich irgendwo anders besser würde? Dich ständig rumzuschieben löst doch nicht das Problem – sondern entreißt dich nur der einen Person, um dich bei der nächsten wieder unterzubringen.
    Ich schlug mit der Faust auf mein Bett. Man hörte fast nichts, sie sprang bloß zurück – eine armselige Geste. Ich stand auf und fuhr mit dem Arm über meine

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