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Den Tod im Blick- Numbers 1

Den Tod im Blick- Numbers 1

Titel: Den Tod im Blick- Numbers 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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der Badezimmerwand über dem Waschbecken. Zwischen Schmerztabletten, Cremes zum Gesichtzukleistern und Verdauungspillen lag eine Nagelschere. Ohne lange nachzudenken, nahm ich sie raus und säbelte an meinen Haaren rum. Die Schere war Schrott und ich konnte nur schneiden, wenn ich die Strähnen ganz straff zog. Als ich weiterschnitt, hatte ich plötzlich Büschel von Haaren in der Hand. Ich ließ sie auf den Boden fallen. Und als ich zur Hälfte durch war, schaute ich in den Spiegel. Scheiße, ich sah richtig schlimm aus. Verdammt, was hatte ich gemacht? Aber es half ja nichts, jetzt, nachdem ich angefangen hatte, musste ich die Sache durchziehen. Ich schaute nicht mehr in den Spiegel, bis ich einmal komplett rumgeschnippelt hatte.
    Hast du mal den Film Der englische Patient gesehen? Echt langweilig, wenn du mich fragst. Karen wollte irgendwann, dass wir ihn zu Hause guckten, er dauerte Stunden und sie hat sich am Ende die Augen ausgeheult, die dumme Nuss. Egal, aber eine der Figuren im Film, die Krankenschwester, hat sich auch die Haare abgeschnitten und sah danach total super aus. Sie hat einfach geschnitten, dann ist sie mit den Händen durch und fertig. Wie so ein Model. Genau wie ich. Nur dass ich scheiße aussah. Null Chance, mit den Haaren aus dem Haus zu gehen, geschweige denn abzuhauen, so wie ich aussah. Mir wurde ganz schlecht, als ich die Haarbüschel anschaute, die auf dem Boden lagen. Gab es nicht irgendwas, womit man sie wieder ankleben konnte?
    Val klopfte an die Tür. »Ist alles in Ordnung mit dir? Jem, geht’s dir gut?«
    Ich schob den Riegel zurück und öffnete die Tür.
    »Heiliger Strohsack!« Ja, es war so übel, wie ich gedacht hatte. »Ist schon okay. Nicht so schlimm«, sagte sie schnell und versuchte den Schaden rückgängig zu machen, aber wir wussten beide, dass sie niemanden täuschen konnte. Es war eine Katastrophe. »Ich glaube, das muss alles runter, Schätzchen. Irgendwo habe ich noch einen Haarschneider. Lass mich mal unter dem Waschbecken nachsehen.«
    Sie setzte mich mitten in die Küche auf einen der Hocker. Ich fühlte mich wie ein Soldat und zuckte zurück, als mir die Schneidemaschine ins Ohr summte.
    »Halt still. Es geht nicht, wenn du dich bewegst.«
    Schließlich trat sie zurück und bewunderte ihr Werk. »Na, das sieht doch gleich besser aus.« Ich fuhr mit der Hand zum Kopf. Alles weg. Du konntest die Form meines Schädels fühlen. »Ist nicht zu kurz. Bloß Stufe 4. Komm und schau’s dir an.«
    Ich ging zurück ins Badezimmer und verharrte einen Moment vor der Tür, bis ich den Mut hatte, zu gucken. Das Mädchen im Spiegel starrte zurück. Sie war eine Fremde. Ich war gewohnt, dass mein Gesicht von den Haaren verdeckt war, halb verborgen. Jetzt war alles deutlich sichtbar – Augen, Augenbrauen, Nase, Mund, Ohren, Kieferpartie. Ich sah aus wie ungefähr zehn, wie ein zehnjähriger Junge. Ich machte ein finsteres Gesicht und der Junge im Spiegel schaute finster zurück. Er mochte vielleicht klein sein, aber anlegen würdest du dich bestimmt nicht mit ihm. Ich wirkte grimmig. Intensiver Blick, starke Wangenknochen und an der Seite traten die Kaumuskeln unter der Haut hervor. Es hätte auch sein können, dass man mir meine Schutzschicht entfernt hatte, aber irgendwie war der Ausdruck ziemlich stark. Deshalb glaubte ich, damit leben zu können. Ich fuhr mir mit der Hand seitlich übers Gesicht und begann mich an dem Gefühl der frisch geschnittenen Stoppeln zu freuen.
    Spinne war wieder zurück, als ich ins Wohnzimmer trat. Ich schwör, ihm fiel im wahrsten Sinne des Wortes die Kinnlade runter. »Verdammte Scheiße, ich war doch nur eine halbe Stunde weg. Was hast du gemacht?« Er ging um mich rum und betrachtete mich aus jedem Winkel. »O Mann«, sagte er lachend. »Du siehst ja echt cool aus!« Er streckte die Hand vor und berührte mein Haar.
    »Finger weg!« Ich war kein öffentliches Eigentum. Er sprang zurück und hob die Hände zur Abwehr.
    »Okay, okay.« Er lachte noch immer, aber dann wurde er ernst. »Hör zu, wir müssen los. Je früher, desto besser.«
    »Wo willst du denn hin, Junge?«, fragte Val.
    Spinne trat von einem Fuß auf den andern und schaute auf den Teppich. »Besser, wenn du’s nicht weißt, Oma …«
    »Na gut, aber du rufst mich an, ja? Und gibst mir Bescheid, ob du okay bist?«
    »Ja, ich versuch’s.«
    Val hatte ein paar Sachen in einen Plastikbeutel verstaut: Lebensmittel, einen Schlafsack und eine Decke. Ich ging nach oben, um meine

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