Den Tod im Blick- Numbers 1
für das japanische Paar, für die alte Frau, für den Typen mit dem Rucksack. Trotzdem erdrückte mich das Gefühl, ich hätte irgendwas ändern können.
»Willste mit zu mir?«, fragte Spinne.
»Weiß nicht, glaub schon.« Ich wollte irgendwohin, wo es sicher war. Ich wünschte, ich hätte sagen können: »Ich geh nach Hause«, aber es gab nichts, was sich nach einem Zuhause anfühlte.
Plötzlich erinnerte ich mich an Sue und die Polizei – weiß der Teufel, wer mich bei Karen erwartete. Ja, Spinne war eindeutig die bessere Alternative.
Wir gingen zurück in die Carlton Villas und verschwanden ins Haus. Val saß nicht wie üblich auf ihrem Hocker, sie war im Wohnzimmer und hatte den großen Fernseher an. Als sie uns reinkommen sah, stand sie halb auf.
»Terry, bist du’s? Ah!« Sie sank zurück in den Sessel. »Ich hab mir den ganzen Nachmittag Sorgen gemacht, seit das in den Nachrichten kam. Alles in Ordnung?«
Spinne beugte sich zu ihr runter, um ihr wie immer einen Kuss auf die Wange zu geben. Er knickte die Beine ein, bis er vor ihrem Sessel hockte, und umarmte sie. Er drückte sie ganz fest.
»Ihr wart da, stimmt’s?«, sagte sie. »Ich wusste es. Ich hab es gewusst.« Die eine Hand ruhte auf seinem Rücken, die andere drückte seinen Kopf gegen ihren, die nikotinverfärbten Finger in seinen sprungfederartigen Haaren vergraben. »Ist gut. Jetzt bist du in Sicherheit, Junge.«
Ich stand in der Tür und fand, dass ich das nicht sehen sollte; es war etwas nur zwischen den beiden. Nach etwa einer Minute oder so drehte sich Val zu mir um. »Komm her. Setz dich. Du siehst ja fix und fertig aus.« Ich setzte mich neben sie und sie nahm meine Hand. »Ich bin so froh, euch beide zu sehen.«
Spinne befreite sich aus der Umarmung und hockte sich wieder zurück auf die Fersen. Er fuhr sich mit dem Arm übers Gesicht, doch ich hatte bereits die Tränen gesehen, die dort glänzten. »Oma, wir waren direkt davor dort. Ich hab Stunk gemacht, weil wir nicht mehr genug Geld hatten, um mitzufahren, aber Jem, die …« Er zögerte und sah mich kurz an. »… die meinte, wir sollten abhauen, wär doch egal. Wir warn auf der Hungerford Bridge, als die Bombe hochging. Wir ham’s gesehn, Oma, wir ham’s gesehn.«
»Dann hast du ihn also gerettet. Du hast meinen Jungen beschützt.« Sie hielt jetzt meine beiden Hände in ihren und schaute mir tief in die Augen. »Danke. Danke, dass du ihn zurückgebracht hast. Er ist zwar ein ungezogener Bengel, aber er bedeutet mir alles. Danke.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Wir hatten ganz einfach Glück«, murmelte ich, aber Spinne wollte das nicht akzeptieren.
»Nee, das war kein Glück. Sie hat mich gerettet, Oma, so wie du gesagt hast.« Ich warf ihm einen warnenden Blick zu, doch der Schock über den Tag und die Erleichterung, dass er zu Hause war, lösten seine Zunge. »Sie ist wie du, Oma. Sie wusste, dass irgendwas passiert.«
Ich wollte aufstehen, aber Val hielt meine Hände fest. »Du hast etwas gespürt? Was denn?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich hatte bloß so ein Gefühl, das war alles. Ich wusste, dass irgendwas Schlimmes passiert.« Ihr Blick bohrte sich in meine Augen, während sie dasaß und wartete. Mein Herz schlug wie verrückt, das Blut pumpte so wild in mir, dass ich wie betäubt war. »Ich wusste, dass Leute sterben würden.«
Val gab einen kleinen Seufzer von sich, so als hätte sie den Atem angehalten. »Ich wusste, da war was«, sagte sie leise. »Ich wusste, dass du eine Gabe hast.« Sie hielt noch immer meine Hände und schaukelte sie in einem Ausdruck von Freude sanft auf und ab. »Es gibt einen Grund, dass du hier bist, Jem. Du hast mir Terry gerettet. Danke.«
Ihre Augen funkelten und ich dachte: Du hast das falsch verstanden. Spinne hätte ruhig da bleiben können, wo er war, er wär heute trotzdem nicht gestorben. Ich hab ihn nur davor bewahrt, dass er verletzt wurde, aber gestorben wär er heut nicht. Ich kann ihn nicht retten, ich möchte ja gern, aber ich kann nicht, und bald wird er tot sein und du wirst denken, ich hätt euch beide im Stich gelassen.
Aber das alles konnte ich nicht sagen. Ich hätte ihnen niemals sagen können, was Spinne erwartete. Also saß ich nur da und Spinne, Val und ich schwiegen, als der Reporter im Fernsehen die Nachricht brachte, dass die Polizei einen dringenden Aufruf gestartet habe, zwei Jugendliche zu finden, die wenige Augenblicke vor der Explosion wegliefen, beide in Kapuzenshirt und Jeans,
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