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Den Tod im Blick- Numbers 1

Den Tod im Blick- Numbers 1

Titel: Den Tod im Blick- Numbers 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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doch nicht weg! Aber ich biss mir auf die Lippen und versuchte mich zu beruhigen, versuchte das wütende Knäuel in meinem Kopf zu entwirren und wieder geradeaus zu denken. Wie immer man es auch wendete, wir hatten ein Problem. Ich ging zurück zu unserem Lager, haute mich aufs Ohr, zog den Mantel über und legte die Decke um mich.
    Wenn ich die Augen schloss, sah ich Körper und Fetzen: den Alten, der durch die Luft flog, Reste von Hellblau am Boden, meine Ma. Also ließ ich die Augen auf und starrte in das komische Muster aus Ästen und Zweigen vor mir am Boden. Ich beobachtete, wie sich ein Käfer den Stängel einer Pflanze raufkämpfte und oben rumtorkelte, während sich die kleinen Blätter unter seinem Gewicht bogen. Meine Haut juckte bei dem Gedanken, dass die ganze Nacht Käfer und Spinnen über mich krabbelten. Gott, auf dem Land war es schrecklich.
    Ich hörte, wie Spinne durch das Unterholz geknirscht kam, sich in der Nähe auf den Boden plumpsen ließ und in den Tüten kramte. Offenbar hatte er eine zweite Decke rausgezogen, denn jetzt hörte ich, wie er im Sitzen hin und her rutschte und versuchte, es sich bequem zu machen. Dann kramte er wieder rum und ich hörte ein kratzendes Geräusch, irgendwas Metallisches.
    Ich dachte: Ich werd nicht mit ihm reden, er kann machen, was er will, verdammt, ist mir doch egal , aber ich versuchte rauszukriegen, was er da machte. Nach einer Weile kam das unverkennbare Klicken eines Feuerzeugs und ein leichter Lichtschein in der Dunkelheit. Danach ein leises Knistern, als die Zigarette Feuer fing, und dann ein langes Ausatmen und ein schwaches zufriedenes Seufzen.
    Ich setzte mich auf und seine Stimme sagte: »Ich wusste, dass du nicht schläfst. Hier, willst du ’n Zug?« Die glühende Spitze der Zigarette flog auf mich zu, als er sie mir entgegenstreckte. Ich nahm sie und inhalierte. Es lag was Beruhigendes in dem Rauch – er wirkte normal, vertraut, wohltuend.
    »Gut«, sagte ich, aber ich meinte eigentlich nicht die Zigarette, so willkommen sie war – es tat nur einfach gut, wieder zusammen zu sein. So wie ich die Lage sah, konnten wir uns einen Streit gar nicht leisten.
    Wir reichten die Zigarette hin und her, redeten nicht viel, sondern gingen ganz in dem Moment auf. Dann fragte Spinne: »Glaubst du, es gibt auch schwarze Bauern?«
    »Keine Ahnung, eher nicht. Wieso?«
    »Mir gefällt’s hier. Ich mag den Boden unter meinen Füßen, dieses Gefühl. Es gefällt mir, so kilometerweit schauen zu können.«
    Und das nach einem Tag, den wir durch Wiesen gewandert waren. »Ach komm, Spinne, das kannst du vergessen.«
    »Wieso? Brauchst du ’n Schulabschluss, um Bauer zu werden? Brauchst du ’n Diplom? Musst du ’n Weißer sein?«
    »Was weiß ich? Keine Ahnung. Ich nehm aber an, man braucht Geld. Jede Menge Geld.«
    »Ich müsste ja keinen Hof kaufen, nur auf einem arbeiten. Jedenfalls glaub ich, dass für Baz oder seine Kumpel durch die Gegend zu laufen nichts ist, was einen weiterbringt. Ich will das nicht mehr. Ich muss irgendwas anderes finden.« Seine Stimme klang leidenschaftlich in der Dunkelheit. »Ich bin da jetzt raus. Wir sind raus. Zurück will ich auf keinen Fall mehr. Wo immer wir landen, ich will da ein neues Leben anfangen und nicht wieder zurück in den alten Trott.«
    Was er sagte, berührte mich. Er sprach aus vollem Herzen.
    »Der Nuller hatte Recht, weißt du?«, fuhr er fort.
    »Niemals!«
    »Doch, er hatte Recht. Leute wie du und ich, für uns ist die Zukunft vom Tag unserer Geburt an vorbestimmt. Arbeitsamt, Supermarktkasse, Baustelle, Straße. Null Zukunft. Ich will das nicht.«
    »Dann willst du also wieder zur Schule und machst deinen Abschluss?«, fragte ich und glaubte es keinen Moment.
    »Nee, ich glaub, dafür ist es ’n bisschen zu spät. Aber ich will irgendwas machen. Ich will anders sein. Ich will nicht der Klischee-Schwarze sein, der Schwarze aus der Statistik.«
    Der Knoten, der sich in meinem Magen gebildet hatte, während er sprach, machte auf einmal ruck und zog sich zu einem körperlichen Schmerz zusammen. Es brach mir das Herz, ihn über die Zukunft reden zu hören. Wie konnte ich dasitzen und ihm zuhören, dem Jungen, der nur noch eine Woche zu leben hatte? Was er sagte, war richtig, es war energiegeladen. Aber es kam zu spät. Wenn die Zahlen stimmten. Wenn …
    Ich wusste, ich war kurz davor, mich zu verraten. Ich wollte ihm alles sagen – es mit ihm teilen, vielleicht einen Plan schmieden, um die Zahl zu

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