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Den Tod im Blick- Numbers 1

Den Tod im Blick- Numbers 1

Titel: Den Tod im Blick- Numbers 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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uns entschlossen hatten, zu bleiben, stand uns plötzlich zwölf Stunden Nichtstun bevor. Auf einmal war es unmöglich, sich zu entspannen und stillzusitzen, und an Schlaf war nicht mehr zu denken. Eine Weile liefen wir zusammen durch den Wald und betrachteten aus verschiedenen Perspektiven die Aussicht. Ich stand lange einfach nur da und schaute den Wolkenbänken zu, die über uns wegzogen. Sie schienen sich nur ganz langsam zu bewegen, aber wenn du den Blick fest auf eine geheftet hieltst und dann für ein paar Sekunden wegschautest, war sie viel weiter gewandert, als du vermutet hättest. Ein bisschen so wie wir, als wir durch die Wiesen gelaufen und uns dabei so langsam wie zwei Käfer vorgekommen waren. Um dann, als wir zurückschauten, festzustellen, dass wir in Wahrheit viele Kilometer geschafft hatten.
    »Ich hab noch nie so viel Himmel gesehen«, sagte ich. »Hat mich echt verwirrt, mit dem ganzen Himmel über uns durch die Wiesen zu laufen.«
    »Ist aber schön, wenn du dich erst mal dran gewöhnt hast. Da ist so viel Luft und du kannst einfach immer und immer wieder die Lunge füllen.« Spinne breitete die Arme aus. »Genauso ist es am Meer. Riesiger flacher Strand und sonst nur Meer und Himmel. Das würd dir gefallen, Jem.« Er drehte sich um und sah mich an. »Wir suchen uns eine Pension mit Frühstück und essen jeden Tag Fish & Chips. Dann werden wir am Pier entlanglaufen, Sachen in den Sand schreiben und einfach nur laut lachen.«
    Er fing an auf einen Baum zu klettern, kam aber nicht weit, weil er mit den Füßen abrutschte. Er versuchte es noch mal, mit dem gleichen Ergebnis. Das Licht verlor sich aus dem Himmel, als ob ihm die Farbe ausgesaugt würde. Auch die Temperatur sank weiter ab.
    »Wird gleich ganz dunkel sein«, sagte ich mit einem Schauder. »Was machen wir dann?«
    »Wir werden schlafen müssen.«
    »Ist doch noch nicht mal sechs Uhr.«
    »Ich weiß, Mann, aber was hast du denn vor? Ferngucken?«
    Die Wirklichkeit zog mich plötzlich nach unten. Ich dachte an die Kälte, an die Schwärze. Ich wollte nicht hier draußen in der Dunkelheit sein. Mir war es schon im Auto unheimlich gewesen, aber da hatten wir wenigstens vier Blechwände und ein Dach um uns rum gehabt.
    »Lass uns weggehen, Spinne. Lass uns versuchen, was anderes zu finden.«
    »Dafür ist es zu spät, Mann. Siehst du irgendwas? Wir würden Stunden brauchen, bis wir was finden. Außerdem müssten wir im Dunkeln laufen. Wir haben ja nicht mal ’ne Taschenlampe dabei.«
    Um uns herum tauchte sich die Welt in Schwarz-Weiß. Bald würde alles nur noch schwarz sein. Ich hatte keine Ahnung, was es nachts auf dem Land alles gab – Tiere? – Leute mit Gewehren auf der Jagd? –, und ich wollte es auch gar nicht wissen. Langsam drehte ich durch.
    »Wieso haben wir keine Taschenlampe dabei? Wieso nicht?! War das nicht ein bisschen bescheuert, ohne Taschenlampe hierherzukommen?«
    »Willst du mir sagen, ich bin bescheuert? Was ist los mit dir? Schau in den Spiegel, Jem. Wir sind zu zweit hier und keiner hat ’ne Taschenlampe dabei. Das war nicht bloß meine Schuld!«
    Wir schrien uns an. Seine Spucke sprühte mir die Wangen voll und traf meine Augen, aber das war mir egal. Ich war so wütend, dass er mich hierher, in diese Situation gebracht hatte.
    »Ich kann in keinen Scheißspiegel gucken! Hier ist kein verdammter Spiegel! Hier ist, verdammt, überhaupt nichts, kapierst du?«
    »Pass mal auf, Mann, wir müssen das hier jetzt durchstehen, klar? Morgen versuch ich für uns ’n Auto zu finden, aber heute Nacht bleiben wir hier. Basta.«
    »Ich will aber nicht hierbleiben, kapierst du das nicht, du Schwachkopf? Ich will weg von hier. Wir haben doch gar keine Ahnung, was wir hier eigentlich tun! Null Ahnung haben wir doch!«
    »Verdammte Scheiße! Du nervst.« Er stand jetzt direkt vor mir und fuhr mir mit seinem Finger vor den Augen rum. »Du kannst hier draußen nicht das kleine Mädchen sein. Du musst erwachsen werden, Mann! Was ist los mit dir? In London warst du viel tougher. Ich hau jetzt lieber ab, bevor ich noch irgendwas Falsches tu oder sage.« Und damit stolzierte er, mit den Händen um sich schlagend, davon.
    »Ja, verpiss dich doch!«
    »Verpiss du dich!«, rief er zurück, ohne sich umzudrehen.
    Natürlich gab es nichts, wo wir hinkonnten. Wir saßen auf einer winzigen Insel fest. Ich konnte ihn immer noch sehen, eine gereizte Comicfigur, als Schattenriss vor dem schwarzen Himmel. Ich wollte schreien: Du Arsch, lauf

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