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Den Tod im Blick- Numbers 1

Den Tod im Blick- Numbers 1

Titel: Den Tod im Blick- Numbers 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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uns verlegen die Hände. Seine war warm, zart und überraschend weich für so einen dünnen Mann. »Und du heißt …?«
    »Ähm, Jem. Ich heiß Jem.«
    »Jem. Freut mich, dich kennenzulernen.«
    Komischer Satz – ich nehme an, er war so erzogen, gute Manieren und alles. Ich wusste nicht, was man drauf antworten sollte, also sagte ich gar nichts.
    »Deine Hand ist ja ganz kalt. Hast du im Freien geschlafen?«
    »Ja.« Wir waren jetzt in einem Bereich auf der rechten Seite im vorderen Teil der Kirche angekommen, der mit einer Art hölzernem Schirm vom Rest abgetrennt war.
    »Du kannst dich hier in die Kapelle setzen, wo ein paar Heizlüfter unter den Bänken sind. Das hilft dir vielleicht, wieder aufzutauen. Ich mache mal weiter meine Runde, bin aber gleich zurück, Jem.«
    Ich setzte mich auf einen gepolsterten Mauervorsprung am Rand des Raums. An einem Ende stand ein Tisch mit einem goldenen Kreuz. In der Mitte befand sich eine kleine schwarze Säule mit einer Kerze obendrauf. Um den Rand lief eine Schrift. Ich stand auf, um sie mir anzuschauen: Dona nobis pacem. Keine Ahnung, was das hieß. Wieso schrieben sie etwas in einer Sprache, die nur vornehme Pinkel verstanden? Ist doch, als ob man uns andern sagen wollte, verpisst euch, oder? Ich las mir die Worte vor und erkundete ihre Fremdheit.
    Als ich plötzlich merkte, dass jemand am Eingang der Kapelle stand, zuckte ich zusammen.
    »Ich bin es bloß«, sagte Simon. »Ich wollte dich nicht stören. Bete nur weiter.«
    »Ich bete nicht«, sagte ich. »Ich hab das nur … gelesen.«
    Er lächelte. »Natürlich. Es sind ganz wunderbare, mächtige Worte.« Ich hatte keine Zeit mehr, ihn zu fragen, was sie bedeuteten, weil plötzlich das Knarren einer sich öffnenden Tür durch die Kirche hallte. Ich warf Simon einen ängstlichen Blick zu.
    »Mach dir keine Sorgen, das wird der Rektor sein. Warte hier.«
    Er verschwand wieder in die Kirche. Ich stand auf, ging zu dem hölzernen Schirm rüber und schaute durch einen Spalt in der Schnitzerei. Ein Mann war durch die Seitentür eingetreten, ein kleiner, robust wirkender Mann, der zur Glatze neigte und eine Brille trug – mehr wie so ein Bankangestellter als ein Pfarrer. Er schaute nach links und rechts, seine Augen sausten umher wie Suchscheinwerfer.
    Simon trottete auf ihn zu und ich hörte, wie der Mann losdonnerte: »Was in Gottes Namen geht hier vor, Simon? Draußen vor der Kathedrale stehen bewaffnete Polizisten. Der ganze Platz ist umzingelt.«
    Simon hob die Hände, als ob er die wuchtige Stimme des Mannes abwehren wollte.
    »Sie ist ein Kind, Rektor. Sie kam zu uns, weil sie Hilfe suchte, Asyl.«
    »Ich bin abgetastet worden, Simon. Abgetastet! Bevor sie mich in meine eigene Kirche gelassen haben.«
    »Oh … ich verstehe.«
    »Du kannst ruhig aufhören zu grinsen, das hier ist eine ernste Angelegenheit. Wir müssen das sofort beenden und das Mädchen ausliefern. Wo steckt sie?«
    Ich wich weiter in die Ecke der Kapelle zurück.
    »Sie ist in der Kapelle, aber …« – sofort hörte ich Schritte auf mich zukommen – »… aber Sie können sie doch nicht einfach hinauswerfen. Sie ist ein Kind.«
    »Sie könnte auch eine Massenmörderin sein, Simon. Und ich kann in meiner Kirche tun, was ich will. Schließlich bin ich der Rektor.« Sie waren jetzt ganz nah.
    »Es ist Gottes Kirche.« Die Schritte stoppten. Ihr Echo verhallte unter dem gewölbten Dach und alles war still.
    »Wie bitte?«
    Ich kannte diesen Ton. Das war’s , dachte ich. Simon hatte jetzt ein echtes Problem, und ich auch.
    »Ich meine, das soll heißen, dies ist das Haus des Herrn. Natürlich hüten wir es, aber eigentlich ist es nicht unser Haus. Ich meine, wir sind seine Wächter, aber …« Seine gestammelten Worte verebbten.
    »Und was willst du damit sagen?«
    »Wir … wir sollten doch auf unser Herz hören und handeln, wie Jesus es getan hätte.«
    Wie lahm war das denn? , dachte ich. Ich bin erledigt. Aber so war es nicht, denn Simon hatte den richtigen Ton getroffen und das Einzige gesagt, was mich retten konnte.
    »Was würde Jesus denn tun?«, sagte der Rektor langsam. »Was würde Er tun? Wo steckt sie?« Sein Ton klang jetzt milder.
    »Ich bin hier«, sagte ich und trat hinter dem Schirm vor.
    Er sah mich an und ich sah seine Zahl: noch dreißig Jahre, mit allen Annehmlichkeiten des Älterwerdens, geachtet, ein Jemand. Ich weiß nicht, was er sah, als er mich anschaute, sein Gesicht gab nichts preis, aber nach einer Weile sagte

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